Polyneuropathien: Eigenverantwortlich durch die Therapie

Bei einigen entzündlichen Polyneuropathien ist eine dauerhafte Therapie mit Immunglobulinen meist unerlässlich. Patienten können die Behandlung auch eigenständig zu Hause durchführen.

Für die Therapie einer Chronischen Inflammatorischen Demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP) kommen verschiedene Optionen infrage. Neben Medikamenten, die das Immunsystem hemmen (Immunsuppressiva), einer Blutwäsche (Plasmapherese) in der akuten Phase oder der Gabe von Kortikosteroiden sind für die Mehrzahl der Patienten Immunglobuline essentiell, um die Krankheit unter Kontrolle zu halten und Beschwerden zu lindern.

Alternativ zur intravenösen Gabe von Immunglobulinen, die stationär oder ambulant unter medizinischer Aufsicht erfolgen muss, gibt es für CIDP-Patienten seit knapp zwei Jahren eine subkutane Therapie, bei der die Immunglobuline vom Patienten selbst unter die Haut injiziert werden. Ein medizinischer Grund für den Umstieg auf die Darreichungsform kann der sogenannte Wearing-Off-Effekt bei der intravenösen Therapie sein. Dann kommt es gegen Ende eines Infusionsintervalls zu einem starken Absinken des Medikamentenspiegels, sagt Professor Stefan Braune, Neurologe in Prien am Chiemsee. In diesen Fällen lässt der Therapieeffekt nach und die Beschwerden des Patienten können zunehmen. Dies werde durch die regelmäßige subkutane Gabe vermieden. Auf diese Weise ließen sich die Immunglobuline zudem feiner und individueller dosieren.

Bessere Lebensqualität

Der Hauptvorteil der eigenständigen Therapie zu Hause ist die Unabhängigkeit, sagt Braune. Dass dies die Lebensqualität enorm erhöht, weiß Rudolf Lakatos aus eigener Erfahrung. Der 55-Jährige aus Brachtal in Hessen erhielt 2012 die Diagnose CIDP. Da bei mir Kortison die Demyelinisierung der Nerven sogar noch verschlimmerte,
erhielt ich intravenös Immunglobuline.
Unter der Therapie besserten sich zwar die Beschwerden, allerdings um den Preis regelmäßiger Krankhausaufenthalte. Jahrelang war ich alle drei Wochen für zwei Tage in der Klinik. Dadurch war mein Alltag enorm eingeschränkt, berichtet Lakatos. 2019 wurde ich dann auf die subkutane Immunglobulin-Therapie umgestellt.

Seitdem hat sich seine Lebenszufriedenheit deutlich verbessert. Ich bin viel flexibler und kann selbst bestimmen, wann und wo ich meine Medikamente einnehme. Manchmal gehe ich zum Beispiel mit meinem Hund spazieren, lege mich auf eine Wiese und genieße die Zeit, während die Immunglobuline in meinen Körper fließen.

Verantwortung übernehmen

Was verlockend klingt, hat aber auch seine Tücken: Wenn ich keine akuten Beschwerden hatte, war ich auch schon mal etwas leichtsinnig und habe die Behandlung probeweise hinausgezögert. Das hat sich aber schnell mit zunehmenden Symptomen gerächt, gesteht Lakatos. Inzwischen halte er sich an den Therapieplan und schätze die wiedergewonnene Unabhängigkeit sehr.

Die eigenverantwortliche Injektionstherapie ist nur für Patienten geeignet, die bereit sind, die Verantwortung für ihre Krankheit und die Behandlung zu übernehmen und es nach einer Schulung auch gut können, bekräftigt Prof. Braune. Patienten, die es generell nicht so genau mit der Medikamenteneinnahme nähmen, sollten besser bei der intravenösen Gabe und einer engeren medizinischen Überwachung bleiben.

Krankheiten mit vielen Gesichtern

Missempfindungen, Lähmungen, Schmerzen – die Beschwerden bei einer entzündlichen Polyneuropathie sind vielfältig. Generell gilt aber: Je früher die Krankheit erkannt und behandelt wird, desto seltener sind Spätfolgen.

Bei den entzündlichen Polyneuropathien werden akute Erkrankungen wie das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) von chronischen Formen wie der Chronischen Inflammatorischen Demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP) unterschieden. Es gibt jedoch auch Patienten, bei denen keine eindeutige Diagnose vorliegt oder die trotz vermeintlich überwundener Krankheit weiter unter zum Teil gravierenden Symptomen leiden.

Auf der Suche

Mein Leidensweg begann Ende 2011 mit starken Beschwerden bis hin zu Lähmungen, nicht nur in den Extremitäten, sondern auch in den Organen, berichtet Sabine Hansen. Anfang 2012 habe ich dann die Diagnose GBS erhalten. Nach anfänglichen Verbesserungen verschlechtern sich seit 2015 die meisten Symptome wie Bewegungseinschränkungen, Missempfindungen und Schmerzen trotz Therapien und Reha stetig. Ich habe immer wieder Schübe und bin inzwischen überwiegend auf den Rollstuhl angewiesen, sagt die 45-Jährige. Da ein solcher Krankheitsverlauf eher für CIDP statt für GBS spricht, werde ich mich bald neuen Untersuchungen unterziehen, um Klarheit und vielleicht auch die Chance auf wirksame Behandlungsoptionen zu erhalten.

Hansens Geschichte steht exemplarisch für die vieler Betroffener, deren Erkrankung auch nicht nach medizinischem Lehrbuch verläuft. In unserer Facebook-Gruppe zeigt der Austausch, dass viele GBSler trotz vermeintlich überwundener Krankheit unter starken Spätfolgen leiden, berichtet Hansen.

Mögliche Gründe dafür kennt Professor Min-Suk Yoon, Chefarzt der Neurologischen Klinik am Evangelischen Krankenhaus in Hattingen: Eine CIDP kann schnell und heftig beginnen und dem klinischen Bild eines GBS sehr ähneln. Das kann sich aber schon bald ändern, in der Regel innerhalb der ersten acht Wochen nach Diagnosestellung, so der Polyneuropathie-Experte. Daher sollten GBS-Patienten auch nach der Entlassung aus der Klinik weiter medizinisch betreut werden, um Verschlechterungen zeitnah zu erkennen.

Je nach Variante des GBS verlaufe die Krankheit zudem schwerer oder leichter. Wird sie erst spät erkannt, können bereits erhebliche Schäden an den Nerven entstanden sein. Selbst wenn sich die Myelinscheide zum Teil wieder erholt hat, kann das Axon selbst so stark angegriffen sein, dass die Reizweiterleitung dauerhaft gestört ist oder weiter Symptome auftreten, sagt Yoon. Umso wichtiger sei die rechtzeige Diagnose der Polyneuropathie.

Ausstellung geplant

Um die Öffentlichkeit, aber auch Ärzte dafür zu sensibilisieren, wie unterschiedlich die Krankheitsverläufe sein können, hatte Sabine Hansen eine besondere Idee. Ich bin nebenberuflich Fotografin und plane jetzt eine Ausstellung mit dem Titel GetBetterSoon. Dafür habe ich schon knapp dreißig Mitglieder unserer Gruppe fotografiert und interviewt. Mit der fachlichen Unterstützung von Professor Yoon sowie mithilfe von Sponsoren sollen die Bilder im kommenden Jahr als Wanderausstellung zu sehen sein. Hinter jedem Gesicht steckt eine besondere Geschichte, sagt Hansen. Mit der Ausstellung werden entzündliche Polyneuropathien, die Vielfältigkeit der Erkrankungen und die Herausforderungen für Betroffene hoffentlich bekannter.