Psyche: Junge menschen fühlten sich am einsamsten

Gleich zu Beginn des ersten großen Corona-Lockdowns startete eine bundesweite psychologische Studie. Sie will den seelischen Folgen der
Kontaktverbote auf die Spur kommen. Über aktuelle Ergebnisse berichtet Dr. Susanne Bücker, Studienleiterin und Wissenschaftlerin an der Ruhr-Universität Bochum.

Frau Dr. Bücker, wie einsam fühlten sich die Deutschen im Frühjahr 2020?

Das war individuell sehr unterschiedlich. Im Durchschnitt aber hat sich das Einsamkeitsempfinden in den ersten vier Wochen des Lockdowns verändert: Es nahm gleich zu Beginn, also seit Mitte März, für etwa zwei Wochen leicht zu und sank dann wieder ab.

Ein erstaunlicher Verlauf. Wie ist er zu erklären?

Das wissen wir noch nicht genau. Möglicherweise hat das leichte Absinken damit zu tun, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt keine weiteren Kontakteinschränkungen mehr verfügt wurden. Es scheint auch so zu sein, dass die Menschen ganz gut mit Einsamkeit umgehen können, also ziemlich resilient sind.

Was ist Ihnen noch aufgefallen?

Vereinfacht gesagt, berichteten ältere Studienteilnehmer von 60 Jahren und darüber im Schnitt weniger über Einsamkeit als jüngere Teilnehmer. Am einsamsten fühlte sich in unserer Studie die Altersgruppe zwischen 18 und 30 Jahren.

Wie wirkten sich Homeoffice, Schulschließungen und fehlende Kinderbetreuung auf die Stimmungslage aus?

Bei vielen Eltern kamen all diese Belastungen zusammen, was sich auch in unserer Studie zeigte. So nahm das Einsamkeitsgefühl von Müttern und Vätern tendenziell stärker zu als bei Personen ohne Kinder. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Eltern im Lockdown weniger Zeit hatten, sich um ihre sozialen Kontakte zu kümmern.

In Deutschland leben viele Menschen allein. Wie ging es ihnen im Lockdown?

Da sind unsere Befunde wenig überraschend: Alleinstehende und Verwitwete berichteten im Durchschnitt mehr über Einsamkeit als Menschen, die in einer festen Partnerschaft leben.

Konnten Sie Unterschiede zwischen Männern und Frauen beobachten?

Nein. Beim Einsamkeitsgefühl sind sich die Geschlechter sehr ähnlich – jedenfalls in unserer Studie. Wir konnten jedoch andere interessante Unterschiede feststellen. So fühlten sich Menschen mit einem erhöhten COVID-19-Erkrankungsrisiko signifikant einsamer als weniger Gefährdete. Auch im Wochenverlauf zeigten sich Besonderheiten. So war das Einsamkeitsgefühl am Wochenende geringer als unter der Woche. Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass samstags und sonntags mehr Zeit für Kontakte per Telefon oder Computer bleibt.

Der bundesweite Lockdown begann am 16. März, am gleichen Tag startete Ihr Team die Studie. Wie haben Sie das so schnell hinbekommen?

Befragungen dieser Art sind in unserer Forschung üblich. Dennoch war es eine Herausforderung, die Studie in so kurzer Zeit auf die Beine zu stellen. Möglich war das nur durch Teamarbeit, und zwar von sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Ruhr-Universität Bochum und der Berliner Humboldt-Universität. Eine Person allein hätte das niemals so schnell geschafft.

Während des Lockdowns im Frühjahr fanden sich auch andere Wissenschaftlerteams zusammen, um die psychische Belastung der Bevölkerung zu ermitteln. Wie passen deren Ergebnisse zu Ihren Befunden?

Recht gut, wie der Vergleich mit einer anderen großangelegten Studie im April mit mehr als 3.500 Teilnehmern zeigt. Sie wurde im Rahmen des Sozioökonomischen Panels, kurz SOEP, durchgeführt, einer seit 1984 jährlich wiederholten Befragung der gleichen Haushalte in Deutschland. Im Frühjahr ist die subjektiv empfundene Einsamkeit der SOEP-Studie zufolge stark angestiegen, wobei auch hier junge Menschen besonders stark betroffen waren.

Sehen Sie weitere Gemeinsamkeiten in den Studien?

Ja, und zwar bei den Hinweisen auf eine ausgeprägte psychische Resilienz in der Bevölkerung. Auch die SOEP-Ergebnisse zeigen, dass die Corona-Krise sich im April kaum negativ auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit der in Deutschland lebenden Menschen ausgewirkt hat.

Wie steht es um die Corona-Einsamkeit im Ausland? Gibt es dazu schon Erkenntnisse?

Ja, Studien in anderen Ländern, zum Beispiel in den USA, kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie wir in Deutschland.

Im Vergleich zu anderen Ländern waren die Einschränkungen in Deutschland eher moderat. Inwiefern spielte das eine Rolle für die psychische Verfassung?

Dass die Menschen hierzulande nicht wochenlang zu Hause eingesperrt waren, sondern einkaufen und spazieren gehen konnten, hat sicher entlastend gewirkt. Zudem ist es im Frühjahr gelungen, die Ausbreitung des Coronavirus relativ schnell einzudämmen. Auch das dürfte sich positiv auf die Gemütslage ausgewirkt haben.

Inzwischen hat die Pandemie an Fahrt aufgenommen. Begleiten Sie das Geschehen wissenschaftlich?

Ja, die Studie läuft weiter, und zwar mit dem Ziel, mittel- und langfristige psychologische Folgen der Pandemie zu erfassen. Viele der ursprünglichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind noch dabei und es kommen sogar neue hinzu, was uns sehr freut. Inzwischen haben wir den Befragungsrhythmus etwas verändert. Statt wie im Frühjahr jede Woche werden die Probanden nur noch einmal im Monat gebeten, einige Tage hintereinander Fragen zu beantworten. Es gibt also auch längere Pausenzeiten, was die Teilnahme komfortabler macht.