Multiple Sklerose: Mit Sport gegen die Spastik

Claudia Neun achtet auf ihren Körper, indem sie sich viel bewegt und gesund ernährt. Zudem hat sie einen starken Willen. All das hilft ihr, die MS-bedingte Spastik im Griff zu behalten.

So gut wie jeden Morgen fährt Claudia Neun mit ihrem Handbike die knapp zwei Kilometer zum Fitnessstudio. Das ist quasi ihre erste Sporteinheit, bevor sie sich rund eineinhalb Stunden an den Studiogeräten verausgabt. Ihr größtes Trainingsziel ist, die Spastik im Griff zu behalten, an der sie aufgrund der Multiplen Sklerose seit einigen Jahren leidet. Fitness und gutes Aussehen sind natürlich auch wichtig – schließlich arbeitet die zierliche Frau mit den rötlichen Haaren und den vielen Tattoos als Handicap-Model. Es ist ein Job, der ihr Spaß macht, der aber auch eine gute Ausstrahlung und viel Selbstvertrauen erfordert.

Stets das Positive sehen

An beiden Eigenschaften mangelt es Claudia Neun nicht. Als gelernte Glas- und Fensterbauerin musste sie sich in einer Männerdomäne immer wieder durchsetzen. Unsicher fühlte sie sich lediglich in der frühen Phase der Erkrankung. Das erste Mal mit Mitte zwanzig, als sie mit ihrem Pferd auf einem Waldweg unterwegs war und ohne ersichtlichen Grund immer wieder stolperte. Im Laufe der nächsten Wochen und Monate wurde das Gehen dann immer mühsamer, zudem war sie häufig müde und auch ihre Sehfähigkeit ließ nach. Mal sah sie alles gestochen scharf, am nächsten Tag verschwammen Gesichter und Gegenstände vor ihren Augen. Die Diagnose Multiple Sklerose erhielt Claudia Neun, die in dieser Zeit eine Tochter zur Welt brachte, erst drei Jahre später. Da ich ein positiv denkender Mensch bin, konnte ich gut damit umgehen. Ich war sogar froh, endlich zu wissen, was ich habe und es bestärkte mich, mein Leben so zu leben, wie ich es möchte, erzählt die 44-Jährige mit einem verschmitztem Lächeln.

Bewegung hilft enorm

Sogar dem Rollstuhl, den Claudia Neun schon seit einigen Jahren benutzt, konnte sie Gutes abgewinnen: So konnte ich zumindest mit meiner damals noch kleinen Tochter all die vielen Dinge unternehmen, die sonst nicht möglich gewesen wären. Als MS-Patientin mit progredientem Verlauf müsse man sich sowieso immer wieder auf neue Situationen einstellen. So sei auch der erste Corona-Lockdown nicht wirklich ein Problem für sie gewesen, obwohl Sport quasi ihr Lebenselexier ist und jede fehlende Bewegung sich sofort muskulär bemerkbar macht. Da sie aber Probleme lieber löst, statt an ihnen zu verzweifeln, passte sie ihr Training kurzerhand an die neuen Gegebenheiten an. Bei schönem Wetter fuhr sie mit ihrem Handbike. Mit Übungen am TRX-Band und Kniebeugen – sie hält sich dann an einer Stuhllehne fest – trainierte sie gezielt die Beinmuskulatur. In dieser ist die Spastik häufig so schlimm, dass sie nach langem Liegen nur mithilfe ihres Mannes aufstehen kann.

Sobald das Fitnessstudio nach dem Lockdown wieder aufhatte, stand Claudia Neun auf ihrem Lieblingsgerät, dem Crosstrainer. Der Bewegungsablauf wirkt besonders effektiv gegen die Muskelprobleme in den Beinen. Es gab eine Zeit, da war die Spastik so schlimm, dass mein Neurologe mir eine implantierbare Medikamentenpumpe verschreiben wollte, berichtet sie. Durch das intensive Training habe sie es aber dann sogar geschafft, ihre damalige Medikation zu reduzieren. Dieser Erfolg habe ihr gezeigt, wie sehr sich das tägliche Training lohnt. Und selbst wenn sie mal einen schlechten Tag hat, unter Fatigue leidet oder psychisch schlecht drauf ist, rafft sie sich auf und fährt ins Studio. Die Überwindung lohne sich, berichtet Claudia Neun: Danach geht es mir jedes Mal wieder besser.