Psyche: Dement durch Keime im Gehirn?
Lange Zeit wurde die Annahme, dass eine Infektion mit Viren oder Bakterien Alzheimer hervorrufen kann, von den meisten Experten eher belächelt. Doch inzwischen mehren sich die Hinweise, dass zumindest ein Teil der Erkrankungen tatsächlich auf einen Befall des Gehirns mit infektiösen Erregern zurückzuführen ist.
Die Sache schien eigentlich klar zu sein. Alzheimer, so die verbreitete Annahme, entsteht durch eine Anhäufung klebriger Proteine, der Beta-Amyloid-Peptide, in den Räumen zwischen den Gehirnzellen. Dort verklumpen die Peptide leicht zu größeren Strukturen, die wiederum, sofern sie nicht durch Enzyme beseitigt werden, zu Plaques aggregieren.
Die Rolle des Amyloids ist unklar
Die Plaques lösen im Gehirn eine tödliche Kaskade aus. Sie rufen, so die Hypothese, eine Entzündung hervor, bei der sich Bündel von fadenförmigen Proteinen, den Tau-Fibrillen, in den Hirnzellen ansammeln. Dadurch sterben die Zellen ab und die Demenz startet ihren unheilvollen, meist jahrzehntelangen Verlauf.
Gegen diese Theorie spricht, dass man Plaques schon oft im Hirngewebe verstorbener Menschen gefunden hat, die zu Lebzeiten nicht an Alzheimer erkrankt gewesen waren. Zudem konnte in Patientenstudien bisher kein Wirkstoff, der Plaques im Gehirn auflösen soll, zeigen, dass er die Symptome der Demenz lindert oder das Fortschreiten der Erkrankung aufhält.
In den 1990er-Jahren waren Forscher um Professorin Ruth Itzhaki von der University of Manchester im Gehirn von Alzheimer-Patienten erstmals auf Herpesviren vom Typ HSV1 gestoßen. Itzhaki ist seither überzeugt, dass Viren ein Dreh- und Angelpunkt bei der Entstehung der Krankheit sind. Amyloid sei zwar ein sehr wichtiges Kennzeichen der Alzheimer-Demenz, aber nicht deren Ursache, sagt sie.
Vermutlich sind die Zusammenhänge komplexer als gedacht. Inzwischen gibt es eine Reihe überzeugender Hinweise, dass sich die Infektions- und die Amyloid-Hypothese nicht unbedingt widersprechen müssen
, sagt Professor Lutz Frölich, Leiter der Abteilung Gerontopsychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Zumindest ein Teil der Alzheimer-Fälle könnte tatsächlich durch Viren oder Bakterien verursacht sein, die ins Gehirn eingedrungen sind – und dort die Bildung der Amyloid-Plaques initiiert haben.
Als potentielle Auslöser der Alzheimer-Krankheit stehen momentan mehrere Mikroben in Verdacht, darunter drei menschliche Herpesviren und drei Bakterien: Chlamydia pneumoniae, ein Erreger von Lungeninfektionen, Borrelia burgdorferi, das die Lyme-Borreliose verursacht, und Porphyromonas gingivalis, das entzündliche Zahnfleischerkrankungen wie Parodontitis hervorruft.
Jüngste zellbiologische Experimente deuten Frölich zufolge daraufhin, dass das Beta-Amyloid nicht nur ein giftiges Abfallprodukt von Nervenzellen ist, sondern womöglich die wichtige Aufgabe besitzt, das Gehirn vor Infektionen zu schützen. In der Kulturschale haben die Amyloid-Peptide gezeigt, dass sie offenbar versuchen, Krankheitskeime unschädlich zu machen, indem sie sich kugelförmig um sie herumlagern – vermutlich um sie so dem Immunsystem leichter zugänglich zu machen.
Erste Patienten-Studien laufen
Professor Yue-Ming Li vom Sloan Kettering Institute in New York hat zudem einen Mechanismus entdeckt, über den eine Infektion die Entstehung von Alzheimer anstoßen könnte. Im vergangenen September berichteten er und sein Team in der Fachzeitschrift Nature, dass im Gehirn, wenn es von Viren befallen wird, ein Protein namens IFITM3 aktiv wird. Dieses bindet an eines der Amyloid herstellenden Enzyme, die Gamma-Sekretase, und erhöht so die Produktion von Amyloid.
Andere Forscher haben bereits mit klinischen Studien begonnen, um die Infektionshypothese zu untermauern. Im Jahr 2017 begann ein Team der Columbia University in New York zu testen, ob der schon lange bekannte antivirale Wirkstoff Valaciclovir den kognitiven Verfall und die Bildung von Plaques bei Menschen mit leichter Alzheimer-Demenz, die Antikörper gegen Herpesviren aufweisen, verlangsamen kann. Die Ergebnisse der Untersuchung mit 130 Teilnehmern werden für 2022 erwartet.
In einer weiteren Studie mit knapp 600 Probanden aus den USA und aus Europa wird ein Wirkstoff getestet, der gegen den Parodontitis-Erreger Porphyromonas gingivalis gerichtet ist. Erste Resultate sollen in zwei Jahren vorliegen. ab