Schmerz: Weniger Attacken durch Antikörper

Überraschend häufig werden Migräne und Spannungskopfschmerzen durch Schmerzmittel ausgelöst. Eine Medikamentenentwöhnung ist für viele Patienten im Alltag nur schwer umzusetzen. Neue Studien zeigen, dass eine vorbeugende Anti-CGRP-Antikörpertherapie helfen kann.

Kopfschmerz-Erkrankungen sind in Deutschland weit verbreitet. Frauen leiden darunter etwas häufiger als Männer und in den meisten Fälle geht es dann um Migräne oder Spannungskopfschmerz. Sie gelten als chronisch, wenn die Schmerzen an mehr als 15 Tagen im Monat auftreten und an mindestens acht Tagen die Kriterien eines Migräne- oder Spannungskopfschmerzes erfüllt sind.

Unterschätztes Problem

Die mitunter sehr starken Schmerzen führen fast immer zu starken Einschränkungen der Lebensqualität mit der Folge, dass manche Patienten ihre Medikamente zu oft einnehmen. Was viele Menschen aber nicht wissen: Schmerz- und Migränemittel können bei übermäßigem Gebrauch die Häufigkeit von Kopfschmerzen erhöhen und aus einem episodisch auftretenden einen chronischen Kopfschmerz machen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einem medikamenteninduzierten Kopfschmerz. Da insgesamt rund ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland davon betroffen ist, handelt es sich nach Auskunft der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) um ein relevantes Gesundheitsproblem.

Wer besonders gefährdet ist

Das Risiko für einen medikamenteninduzierten Kopfschmerz steigt, wenn bestimmte Migränepräparate wie Triptane, Opiate oder Kombinationspräparate an mehr als zehn Tagen im Monat oder einfache Schmerzmittel (zum Beispiel ASS, Ibuprofen, Paracetamol) an mehr als 15 Tagen im Monat eingenommen werden. Das kann vor allem bei Patienten mit starker Migräne und häufigen Attacken der Fall sein.

Besonders gefährdet seien Patienten, die im Laufe ihrer Erkrankung große Angst vor Schmerzen entwickelt hätten, sowie Personen, die meinten, immer funktionieren zu müssen, sagt Dr. Andreas Peikert, NTC-Neurologe in Bremen. Zur Risikogruppe gehörten auch jene, die bereits im Elternhaus gelernt hätten, bei Schmerzen gleich zur Tablette zu greifen.

Der behandelnde Arzt wisse mitunter wenig über den Schmerzmittelkonsum seiner Patienten, sagt Peikert: Manche behandeln sich über einen längeren Zeitraum selbst. Die Versorgung mit Schmerzmitteln ist relativ einfach, denn ein Großteil ist in Apotheken ohne Rezept erhältlich.

Alternativen zum kalten Entzug

Einer aktuellen Studie zufolge nehmen rund 40 Prozent aller Patienten mit chronischer Migräne ihre Akuttherapie zu oft ein. Daraufhin treten die Kopfschmerztage oft in immer schnellerer Folge auf. Um die Frequenz zu senken, raten die derzeit gültigen Leitlinien zum Medikamentenentzug. Konkret wird empfohlen, die Medikamente zwei bis vier Wochen lang ganz wegzulassen oder zumindest die Behandlungstage auf zwei in der Woche zu beschränken. Eine weitere Option sei die Umstellung von Triptanen auf nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), heißt es in den Leitlinien.

Doch für die meisten Betroffenen sei keine der drei Möglichkeiten wirklich alltagstauglich, sagt Professor Hans-Christoph Diener von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Zum einen seien schwere Kopfschmerzen ohne wirksame Medikamente fast nicht auszuhalten. Auch eine Umstellung auf NSAR ist wenig zielführend, da diese Substanzgruppe bei schwerer Migräne in der Regel nicht hilft, sagt der Neurologie-Professor.

Erfolge der medikamentösen Prophylaxe

Doch Migräne-Patienten können ihr Einnahmeverhalten auch ohne Therapiepause und Schmerzmittelentwöhnung normalisieren. So zeigt etwa die HALO-Studie, dass der CGRP-Antikörper Fremanezumab die Zahl der Kopfschmerztage bei Migränepatienten mit Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz signifikant reduziert, und zwar sowohl bei vierteljährlicher als auch bei monatlicher Gabe.

Als ebenfalls sehr erfolgreich erwies sich in der PROMISE-2-Studie der Wirkstoff Eptinezumab. Dabei handelt es sich um einen neuen humanisierten monoklonalen Antikörper gegen CGRP, der bislang allerdings noch nicht in der Europäischen Union zugelassen ist. In der Studie konnte Eptinezumab die Zahl der Migränetage um die Hälfte reduzieren und erwies sich somit als ähnlich wirksam wie Fremanezumab.

Eine weitere Möglichkeit, die Zahl der Migränetage zu senken, bietet die Therapie mit Botulinumtoxin Typ A, ein Wirkstoff, der umgangssprachlich auch als Botox bezeichnet wird. Aus der PREEMPT-Studie geht hervor, dass auch diese Therapieform die Anzahl der Schmerztage halbieren kann. Nur bei Patientinnen und Patienten, bei denen die Botulinum-Therapie versagt oder nicht ausreichend wirkt, ist die kostspieligere Antikörpertherapie angezeigt – und wird dann auch von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, sagt Professor Diener.

Endlich stünden, so resümiert der Kopfschmerz-Experte, für Patienten mit übermäßigem Schmerzmittelgebrauch wirklich hilfreiche Therapieoptionen zur Verfügung. ak