Multiple Sklerose: Der Weg zur passenden Therapie

Es gibt eine Vielzahl von Medikamenten zur Behandlung der Multiplen Sklerose (MS). Bei der Auswahl der geeigneten Therapie kommt es nicht nur auf den Krankheitsverlauf an, auch persönliche Bedürfnisse spielen eine große Rolle. Aktualisierte Leitlinien helfen, den richtigen Kurs zu finden.

Wer die Diagnose Multiple Sklerose (MS) erhält, muss sich womöglich schon bald mit dem Thema Dauertherapie befassen. Etwa dann, wenn regelmäßig Schübe auftreten oder die Magnet-resonanztomografie (MRT) Entzündungen im Zentralen Nervensystem (ZNS) sichtbar macht. Jetzt geht es um die Auswahl einer langfristig wirksamen Behandlung und dabei sind ganz unterschiedliche Aspekte zu bedenken. Die Verlaufsform der Krankheit beispielsweise, wie aktiv ist sie, der erwartbare Therapieerfolg oder das Nebenwirkungsprofil, um nur einige der sogenannten harten Faktoren zu nennen. Aber auch weiche Faktoren, wie beispielsweise die Lebensumstände oder persönliche Vorlieben spielen eine große Rolle. Schließlich muss die Therapie zum eigenen Leben passen, damit man sie auch durchhält.

Die drei Säulen der Therapie

Es ist hilfreich, sich zunächst mit den drei Säulen der MS-Therapie vertraut zu machen. Es gibt die Schubtherapie, bei der über einen kurzen Zeitraum mittels einer Infusion hochdosierte Glukokortikoide verabreicht werden. Auf diese Weise lassen sich die akuten Entzündungsprozesse hemmen und die Beschwerden mildern. In seltenen Fällen, wenn Glukokortikoide nicht wirken und die Symptome sehr ausgeprägt sind, kommt ein Plasma-reinigungsverfahren in Betracht. Dabei wird das Blut von Antikörpern, die sich gegen das Nervensystem richten sowie weiteren Eiweißmolekülen gereinigt und anschließend in den Körper zurückgeführt.

Die symptomatische Therapie ist in allen Krankheitsphasen der MS sinnvoll. Sie hilft, den Alltag selbstbestimmt zu bewältigen, und kann die Lebensqualität deutlich verbessern. Das Spektrum umfasst physiotherapeutische, ergotherapeutische, psychotherapeutische und logopädische Maßnahmen zur Behandlung von Bewegungsstörungen, spastischen Lähmungen, Schluck- und Sprechstörungen sowie Erschöpfungszuständen und Depressionen.

Die dritte Säule, die verlaufsmodifizierende Immuntherapie, soll die Schwere und Häufigkeit von Schüben verringern und die messbare Krankheitsaktivität erfolgreich senken. Die eingesetzten immunmodulierenden oder immunsuppressiven Wirkstoffe können außer Kontrolle geratene Komponenten des Immunsystems in Schach halten.

Verliert die Immuntherapie, auch Basistherapie genannt, an Effektivität, kommen im Rahmen einer sogenannten Eskalationstherapie noch wirksamere Arzneimittel zum Einsatz. Da sie mit größeren Risiken verbunden sind, ist eine engmaschige Therapieüberwachung notwendig.

Die Auswahl wird von Jahr zu Jahr größer

Lange Zeit ließen sich nur akute Schübe der MS behandeln. Vor 25 Jahren wurde dann mit Beta-Interferon die erste verlaufsmodifizierende Immuntherapie zugelassen, fünf Jahre später der Wirkstoff Glatirameracetat. In den vergangenen Jahren kamen nach und nach weitere Medikamente zur Dauerbehandlung der chronisch-entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems auf den Markt – fast alle jedoch für Patienten mit schubförmigem Verlauf (RRMS und rSPMS). In diese Kategorie fallen auch der seit April erhältliche Anti-CD20-Antikörper Ofatumumab (siehe Kasten) sowie der Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulator Ponesimod, der bald auf den Markt kommen soll. Neue Optionen gibt es aber auch für die Therapie chronisch fortschreitender Verlaufsformen der MS: Seit Anfang 2018 ist mit dem humanisierten monoklonalen Antikörper Ocrelizumab ein wirksames Präparat gegen die frühe primär progediente MS (PPMS) erhältlich und mit Siponimod steht seit Januar 2020 ein Wirkstoff gegen die aktive sekundär progediente Form der Erkrankung (SPMS) zur Verfügung.

Neue Leitlinien mit Patientenperspektive

Anfang Mai veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) unter der Federführung von Professor Dr. Bernhard Hemmer von der Klinik der Technischen Universität München die aktualisierte und erweiterte S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose. Um die Perspektiven von Betroffenen besser zu berücksichtigen, trugen neben verschiedenen Fachgesellschaften und anderen Organisationen erstmals auch Patientenvertreter zu den Empfehlungen bei. Neu an den Leitlinien ist, dass die verlaufsmodifizierenden MS-Medikamente nicht mehr in ein Behandlungsstufenschema, sondern in drei Wirksamkeitskategorien eingeteilt wurden. Die Eingruppierung erfolgte anhand der Schubratenreduktion aus den Zulassungsstudien. Zur Wirksamkeitskategorie 1 gehören Beta-
interferone, Dimethylfumarat, Glati-rameroide und Teriflunomid, zur Kategorie 2 Cladribin, Fingolimod sowie Ozanimod und zur Kategorie 3 Alemtuzumab, CD20-Antikörper (Ocrelizumab, off label Rituximab) und Natalizumab. Mit zunehmender Wirksamkeit nähmen auch die seltenen unerwünschten schweren Arzneimittelwirkungen zu, heißt es in der Leitlinie.

Das Autorenteam empfiehlt, die immuntherapeutische Behandlung entsprechend der Krankheitsaktivität auszuwählen. Zudem stellen sie definierte Einstiegs-, Wechsel- und Ausstiegsszenarien vor und gehen auf spezielle Situationen ein, beispielsweise auf Schwangerschaft und Stillzeit sowie MS bei jungen oder älteren Menschen.

Arzt und Patient entscheiden gemeinsam

Die heute verfügbaren Optionen, sagt Professor Hemmer, erlauben eine individuelle, an Verlauf, Krankheitsaktivität und persönliches Risikoprofil angepasste Therapie. Die neuen Leitlinien seien als Beratung zu verstehen, die Therapiefreiheit bleibe erhalten. Welcher medizinisch-therapeutische Weg im Einzelnen gewählt werde, sei Sache des behandelnden Arztes und des Patienten. Die NTC-Neurologin Dr. Barbara Schwandt fügt hinzu: Es ist wichtig, im ausführlichen Gespräch mit dem Patienten dasjenige Präparat aus der Vielzahl der Medikamente herauszufiltern, das am besten zur Erkrankung und zu den persönlichen Bedürfnissen passt.

Es kommt auch auf die Lebenssituation an

Entscheidend für die Wahl eines bestimmten Präparats sind – neben den medizinischen Voraussetzungen wie Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen und Risikofaktoren – auch die Lebenssituation und die Lebensplanung der betroffenen Person. Für eine Patientin, die in nächster Zeit ein Kind bekommen möchte, stehen andere Präparate zur Verfügung als für eine Frau, deren Familienplanung bereits abgeschlossen ist, sagt Barbara Schwandt. Auch der Beruf kann bei der Wahl des passenden Medikaments eine Rolle spielen, beispielsweise bei regelmäßiger Reisetätigkeit.

Auch die Persönlichkeit des Erkrankten kann ausschlaggebend für wie Wahl eines bestimmten Medikaments sein. Möchte ich ein altbewährtes Präparat oder ist mir eine Neuentwicklung lieber? Bin ich diszipliniert genug, täglich ein oder zwei Tabletten einzunehmen und diese auch stets vorrätig zu halten? Habe ich Angst vor Spritzen oder Infusionen? – Das sind nur einige der Fragen, die sich jeder MS-Patient stellen und ehrlich beantworten sollte.

Als Entscheidungshilfe bietet das Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) gemeinsam mit der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) Patientenhandbücher zu einigen Immuntherapeutika an. Sie können unter https://www.kompetenznetz-multiple sklerose.de/patienteninformationen/patien tenhandbuecher abgerufen werden. Die Handbücher liefern verständliche und neutrale Informationen über Wirkweise und Wirksamkeit, Einnahme, Nebenwirkungen, Risiken und notwendige Kontrolluntersuchungen. Mit gutem Vorwissen über die medikamentösen Therapiemöglichkeiten fällt es vielen Patienten leichter, die Erklärungen des behandelnden Arztes nachzuvollziehen und zielgenaue Fragen zu stellen. • ak

Bei der Multiplen Sklerose greifen Abwehrzellen des Immunsystems aufgrund einer Fehlsteuerung die Umhüllung von Nervenzellen im Hirngewebe an. Je nachdem wo und wie stark das Nervengewebe geschädigt wird, kommt es zu unterschiedlichen neurologischen Symptomen. Das können Missempfindungen oder Sehstörungen sein, aber auch krampfartige Muskellähmungen, kognitive Störungen oder lähmende Müdigkeit (Fatigue).

Plasma spenden – auch in der Pandemie

Nach Unfällen oder bei schweren Erkrankungen können Plasmaspenden Leben retten. Umso wichtiger ist es, dass viele Menschen zu einer Spende bereit sind – auch während der Corona-Pandemie.

Plasma, der flüssige Anteil des Bluts, macht mehr als dessen Hälfte aus und enthält viele wertvolle Proteine, die nicht künstlich (synthetisch) hergestellt werden können. Solche Proteine sind die Grundlage für eine Vielzahl wichtiger Arzneimittel, auf die weltweit mehr als eine Million Menschen angewiesen sind.

Ein breites Spektrum

In Deutschland benötigen rund 16.000 chronisch Kranke regelmäßig ein Plasmapräparat. Dabei handelt es sich beispielsweise um Patienten mit
einer Blutgerinnungsstörung (bekannt als Bluterkrankheit) oder einer geschwächten Immunabwehr. Auch bei Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem irrtümlich körper-eigene Strukturen angreift, kommen die im Blutplasma enthaltenden Immunglobuline zu Einsatz, etwa bei entzünd-lichen Polyneuropathien. Die Therapie erfolgt als kurzfristige Akutgabe wie beim Guillain-Barré-Syndrom (GBS) oder als regelmäßige Behandlung wie bei der Chronischen Inflammatorischen Demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP).

Spendenbereitschaft lässt nach

Je nach Krankheit sind bis zu 120 Spenden nötig, um einen einzigen Patienten ein Jahr lang mit seinem Medikament zu versorgen. Daher ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen Plasma spenden. Das stellt jedoch während der aktuellen COVID-19-Pandemie ein Problem dar. So berichten Spendezentren und Pharmaunternehmen über einen deutlichen Rückgang der Spenden-bereitschaft für Blut und Plasma – unter anderem bedingt durch Abstands- und Hygieneregeln. Auch wenn die Herstellung eines Plasmaprodukts rund sieben bis zwölf Monate dauert und sich größere Auswirkungen des Spendenmangels daher wohl erst mit Verzögerung bemerkbar machen, beklagen einige Unternehmen schon jetzt Produktionsprobleme. Auch in Praxen und Kliniken gibt es erste Versorgungslücken aufgrund fehlender Präparate.

Kein erhöhtes Corona-Risiko

Um möglicherweise schwerwiegenden Folgen für die Patienten entgegenzuwirken, haben das Robert-Koch-Institut (RKI), das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sowie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) dazu aufgerufen, Blut und Plasma zu spenden und entsprechende Termine auch im Lockdown wahrzunehmen. Aufgrund der umfassenden Hygienekonzepte in den Spendeeinrichtungen bestehe für Spender kein erhöhtes Risiko für eine COVID-19-Ansteckung, heißt es in dem Appell. Zudem überprüfe das medizinische Fachpersonal vor Ort routinemäßig den Gesundheitszustand der Spender. Bei Anzeichen für eine Infektion dürfe kein Blut gespendet werden.

Die meisten sind
zugelassen

Generell kann jede gesunde Person

Plasma spenden, die

  • zwischen 18 und 68 Jahre alt ist,
  • mindestens 50 Kilogramm wiegt,
  • über eine ausreichende Immunabwehr verfügt,
  • sich innerhalb der vergangenen vier Monate keine Piercings, Ohrlöcher oder Tattoos hat stechen lassen und
  • die ärztliche Untersuchung erfolgreich abgeschlossen hat.

Schwangere Frauen und Frauen, die erst vor Kurzem ein Kind bekommen haben, sind zum eigenen Schutz vorübergehend von der Plasmaspende ausgeschlossen. Das Gleiche gilt nach einigen Impfungen mit Lebend- oder Kombinationsimpfstoffen, etwa gegen Masern, Mumps und Röteln. Auch die regelmäßige Einnahme bestimmter Medikamente, wie gegen Diabetes oder Herzerkrankungen, verträgt sich nicht mit einer Plasmaspende. Nach einer COVID-19-Impfung ist keine Wartezeit erforderlich – eine Spende kann bereits am nächsten Tag erfolgen. • ag