Multiple Sklerose: Online zum Arzt

Die Videosprechstunde ist spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie landesweit auf dem Vormarsch. Auch die Ärzte des NTC-Netzwerks beraten ihre Patienten zunehmend digital. Der Neurologe und Psychiater Dr. Bernhard Bühler erklärt, wie Patienten das Angebot nutzen können und welche Vorteile es ihnen bietet.

Herr Dr. Bühler, wie funktioniert die Videosprechstunde und wie läuft sie ab?

Zunächst einmal spreche ich meinen Patienten auf diese Möglichkeit an. Erklärt er sich zur Teilnahme bereit, muss er als Erstes eine Patienteninformation zum Thema Datenschutz unterschreiben. Anschließend können wir einen Termin vereinbaren. Der Patient erhält dann per E-Mail oder SMS eine Einladung mit einem Internetlink und einem Passwort. Damit kann er sich kurz vor dem Termin einloggen und gelangt so in ein virtuelles Wartezimmer, aus dem ich ihn online aufrufe. Danach können wir uns auf dem Bildschirm gegenseitig sehen und miteinander sprechen – ganz so, als säßen wir uns gegenüber.

Welche technischen Voraussetzungen sind für die Teilnahme notwendig?

Der Patient selbst benötigt lediglich einen Internetzugang und ein internetfähiges Gerät, das mit einer Kamera und einem Lautsprecher ausgestattet ist, also entweder ein Smartphone, ein Tablet oder einen entsprechend ausgerüsteten Computer. Ich selbst benutze mein Festgerät in der Praxis und eine von der KBV, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, lizenzierte Software. In unserer Praxis haben wir uns für das Programm sprechstunde.online entschieden, mit dem sich die Videosprechstunde auch für gesetzlich Versicherte bequem abrechnen lässt. Dem Patienten entstehen durch die Nutzung keinerlei Kosten.

Wie ist es um die Datensicherheit der Online-Sprechstunde bestellt?

Ich halte sie im Rahmen dessen, was technisch möglich ist, für gegeben – vorausgesetzt natürlich, dass die verwendete Software von der KBV lizenziert wurde. Alle Daten werden über eine sichere Leitung im Internet verschlüsselt übertragen. Zudem wird der Patient darauf hingewiesen, dass bis auf eine Person seines Vertrauens keine weiteren Menschen in dem Raum, in dem er sich während des Online-Termins aufhält, anwesend sein dürfen. Darüber hinaus schalte ich meine Kamera und mein Mikrofon nach jeder Videosprechstunde grundsätzlich wieder aus.

Seit wann bietet Ihre Praxis die Möglichkeit zur Videosprechstunde an?

Der Grundstein für die Online-Sprechstunde wurde bereits im Jahr 2018 mit der Zulassung der Fernbehandlung gelegt. Ich selbst bin schon länger ein großer Befürworter dieser Möglichkeit. Mit Beginn der Corona-Pandemie, in der wir aufgrund der Ansteckungsgefahr möglichst wenig direkten Patientenkontakt haben wollten, konnte ich dann auch meine Praxiskollegen von den Vorteilen des Online-Angebots überzeugen. Im März 2020 haben wir unsere erste Videosprechstunde abgehalten. Inzwischen nutzen mehr als 20 unserer Patienten dieses Angebot. Etwa zwei Drittel von ihnen leiden an Multipler Sklerose, rund ein Drittel ist an Parkinson erkrankt. Sie alle sind körperlich recht eingeschränkt. Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen hingegen behandele ich nicht per Videosprechstunde, bei ihnen halte ich den realen Kontakt für zu wichtig.

Gibt es weitere gemeinsame Merkmale, die Ihre Patienten, die das Angebot nutzen, auszeichnen?

Tendenziell sind sie eher jünger als der Durchschnitt und sie wohnen von unserer Praxis relativ weit entfernt. Keine Unterschiede sehen wir hingegen beim Geschlecht: Wir haben ungefähr genauso viele Frauen wie Männer, die an der Videosprechstunde teilnehmen.

Welche sind Ihrer Ansicht nach deren wichtigste Vorteile?

Zum einen entfällt für die Patienten natürlich der Anfahrtsweg, weshalb vor allem Menschen mit eingeschränkter Mobilität von dieser Möglichkeit profitieren. Durch die Videosprechstunde habe ich zum Beispiel Patienten wiedergesehen, die aufgrund ihrer Bettlägerigkeit seit Jahren nicht mehr persönlich bei mir in der Praxis waren. Insbesondere bei weit weg wohnenden Patienten kann ich viel leichter kurzfristig nach ihnen gucken, wenn sich ihr Zustand zum Beispiel verschlechtert. Für mich ist es zudem oft hilfreich, meine Patienten in ihrer häuslichen Umgebung zu sehen. Auf diese Weise erhalte ich von ihnen meist ein viel realistischeres und genaueres Bild, als es bei mir in der Praxis der Fall wäre. Ein weiterer Vorteil für die Patienten ist die sehr kurze Wartezeit.

Wie kommt diese zustande?

Die zur Verfügung stehende Zeit wird schon bei der Buchung des Termins festgelegt. In den meisten Fällen plane ich pro Termin eine Viertelstunde ein, so wie ich es auch in meiner regulären Sprechstunde tue. Ist diese Zeitspanne abgelaufen, beendet die Software das Gespräch automatisch. Das bringt mich als Arzt dazu, mich stärker zu konzentrieren und auf das Wesentliche zu fokussieren.

Und was passiert, wenn Sie während des Termins merken, dass die vorgesehene Zeit doch nicht reicht?

Dann müssen der Patient und ich gegen Ende unseres Gesprächs einen weiteren Termin vereinbaren.

Sehen Sie auch Nachteile der Videosprechstunde?

Eigentlich nicht. Einige Patienten hatten anfänglich zwar Bedenken, etwa wegen möglicher Lücken im Datenschutz oder weil sie mich lieber persönlich sehen wollten – manche aus Sorge, ich könne online vielleicht nicht richtig für sie da sein. All diese Befürchtungen ließen sich aber schnell ausräumen. Ein Nachteil ist vielleicht, dass ich den Patienten nicht im eigentlichen Sinne körperlich untersuchen kann. Doch mithilfe der bewegten Bilder lässt sich auch diesbezüglich viel erreichen.

Inwiefern hat die Corona-Pandemie den Erfolg der Videosprechstunde beschleunigt?

Zum einen war man, wie bereits gesagt, natürlich bestrebt, den persönlichen Kontakt zu den Patienten wegen der Ansteckungsgefahr auf ein Minimum zu reduzieren. Dieses Ziel hatten auch die Kassenärztlichen Vereinigungen vor Auge: Vor Beginn der Pandemie durften längst nicht alle Ärzte die Videosprechstunde anbieten – mittlerweile ist sie grundsätzlich jedem Arzt erlaubt, der eine Genehmigung bei der KV beantragt hat. Auch war die Zahl der angebotenen Videosprechstunden früher auf 50 pro Quartal beschränkt. Diese Restriktion ist derzeit zumindest ausgesetzt. Sogar die Versichertenkarten der Patienten können inzwischen mithilfe der Software eingelesen werden. Und nicht zuletzt hat die Skepsis vieler meiner Kollegen im Laufe der Pandemie nachgelassen.

Welche Entwicklung würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Zum einen hoffe ich darauf, dass die Restriktionen, die Corona-bedingt abgeschafft wurden, auf Dauer, also über die Pandemie hinaus, entfallen werden. Zum anderen wünsche ich mir, dass die Akzeptanz für die Videosprechstunde sowohl unter meinen Kollegen als auch unter den Patienten noch weiter zunehmen wird. Was die Patienten betrifft, bin ich übrigens sehr optimistisch: Bislang ist jeder meiner Patienten, der das Angebot einmal angenommen hat, dabeigeblieben – und nutzt es seither sehr gerne. ab