Migräne: Prävention in Tablettenform
Ein neues Medikament zur Vorbeugung der Migräne hat in einer Studie gute Ergebnisse erzielt. Anders als die derzeit verfügbaren Antikörper kann es geschluckt werden. Patienten mit Spritzenangst dürfen darauf hoffen, dass es in spätestens zwei Jahren erhältlich ist.
Wer seine Migräne vorbeugend behandeln muss, weil sie das Leben ansonsten zu stark beeinträchtigt, hat derzeit manchmal keine andere Wahl, als sich selbst regelmäßig zu spritzen. Denn die präventiv wirkenden Medikamente, die spezifisch für die Therapie der Migräne entwickelt wurden, liegen bislang nur als Injektionslösung vor. Meist müssen diese Antikörper-Präparate einmal im Monat subkutan, also unter die Haut, injiziert werden.
In absehbarer Zeit können Migränepatienten mit Spritzenangst aber vermutlich aufatmen: Ein Medikament zur Vorbeugung in Tablettenform hat in Studien so gute Ergebnisse erzielt, dass es vermutlich innerhalb der nächsten zwei Jahre in Deutschland auf den Markt kommen wird. Der Wirkstoff heißt Atogepant und er richtet sich, ähnlich wie die präventiv wirkenden Antikörper, gegen den Botenstoff CGRP (eine Abkürzung für die englische Bezeichnung Calcitonin Gene-Related Peptide). Bei der Entstehung der Migräne in den Blutgefäßen der harten Hirnhaut spielt dieses Molekül eine entscheidende Rolle. In den USA hat der Hersteller von Atogepant die Zulassung bereits beantragt.
Für die Leber nicht mehr schädlich
»Der Wirkstoff zählt zu den Gepanten, einer Klasse von Medikamenten, die sich aufgrund ihres recht kurzen Aufenthalts im menschlichen Körper sowohl für die Akuttherapie als auch für die präventive Behandlung der Migräne eignen«, erläutert die NTC-Ärztin Dr. Heike Israel-Willner vom Neurologischen Facharztzentrum Berlin. Die ersten Gepante seien schon vor mehr als zehn Jahren getestet worden, allerdings hätten die damaligen Wirkstoffe zu einer Erhöhung der Leberwerte geführt. »Die Gepante der zweiten Generation sind für die Leber nicht mehr schädlich«, sagt Israel-Willner. Die Wirkstoffe Ubrogepant und Rimegepant, beides ebenfalls CGRP-Blocker, sind in den USA schon seit einiger Zeit für die Akuttherapie zugelassen. Sie werden dort vor allem Patienten verordnet, bei denen herkömmliche Schmerzmittel oder Triptane nicht wirken oder nicht gut vertragen werden.
Der CGRP-Gegenspieler Atogepant könnte nun das erste Mittel der neuen Wirkstoffklasse werden, das sich wegen seines – im Vergleich zu Ubrogepant und Rimegepant – etwas längeren Verbleibs im Organismus zur Migräneprophylaxe eignet. Zur Hälfte abgebaut ist die Substanz im Körper erst nach rund elf Stunden. Da das Mittel frühestens zwei Stunden nach der Einnahme seine volle Wirkung entfaltet, ist es für die Akuttherapie hingegen vermutlich weniger geeignet.
Vier Migränetage weniger
In einer Studie mit rund 800 Patienten, die an episodischer Migräne litten, wurde Atogepant zwölf Wochen lang in unterschiedlichen Dosierungen mit einem wirkstofffreien Scheinmedikament verglichen. Eine episodische Migräne zeichnet sich dadurch aus, dass die Betroffenen an vier bis 14 Tagen im Monat von den Attacken heimgesucht werden. Alle Teilnehmer, die im Schnitt seit 17,5 Jahren an Migräne erkrankt waren, erhielten das Medikament zur Vorbeugung, entweder einmal täglich 10, 30 oder 60 Milligramm oder zweimal täglich 30 oder 60 Milligramm. Durchgeführt wurde die Studie in 78 universitären oder privaten Praxen in den USA. Publiziert ist sie im renommierten Fachblatt Lancet Neurology.
Wie sich herausstellte, konnte Atogepant die Zahl der monatlichen Migränetage im Schnitt um etwa vier reduzieren. Mit dem Placebo waren es weniger als drei Tage. Besonders gute Ergebnisse wurden erzielt, wenn der Wirkstoff zweimal täglich eingenommen wurde. Auch in der niedrigsten Dosierung war er dem Scheinmedikament jedoch überlegen. »Bei Patienten, die an sieben Tagen im Monat an Migräne leiden, kann durch Atogepant somit mehr als eine Halbierung der Attacken erzielt werden«, sagt Israel-Willner. »Damit wirkt das Medikament vermutlich ähnlich gut wie die Antikörper.« Endgültig könne man den Effekt des Gepants nach dieser recht kleinen Studie zwar noch nicht beziffern. Eine zweite vergleichbare Untersuchung, die kürzlich im New England Journal of Medicine erschienen sei, habe aber ähnliche Ergebnisse hervorgebracht.
Weitere Studien laufen
Als Nebenwirkungen von Atogepant traten in der Lancet-Studie am häufigsten Übelkeit sowie Müdigkeit und Fatigue auf. Unter Übelkeit litten bei der höchsten Dosierung des Medikaments etwa zwölf Prozent der Probanden. Allerdings berichteten auch fünf Prozent der Teilnehmer aus der Placebogruppe von dieser Begleiterscheinung. Müdigkeit oder Fatigue traten je nach Dosis bei bis zu zehn Prozent der Patienten auf, die den echten Wirkstoff erhalten hatten. In der Vergleichsgruppe waren es drei Prozent. Ernsthafte Nebenwirkungen des Medikaments wurden nicht verzeichnet.
Derzeit laufen noch weitere Studien, in denen die Sicherheit und Verträglichkeit des Wirkstoffs auch über einen längeren Zeitraum hinweg geprüft wird. Sollten auch sie positiv ausfallen, wird einer Zulassung von Atopepant vermutlich nicht mehr viel im Wege stehen. Ähnlich wie die Antikörper wird die Tablette allerdings wahrscheinlich all jenen Patienten vorbehalten sein, bei denen andere präventive Maßnahmen versagt haben.