Multiple Sklerose: Nur wenige Medikamente verringern den Impfschutz

Auch Menschen mit Multipler Sklerose wird eine Covid-19-Schutzimpfung empfohlen. Denn die Gefahr, schwer an einer Infektion mit dem Coronavirus zu erkranken und dadurch einen neuen Schub zu erleiden, ist nach heutigem Wissen deutlich größer als eventuelle Impfrisiken. Doch wie steht es um den Impfschutz, wenn MS-Medikamente eingenommen werden?

Der Frage, wie gut eine Covid-19-Impfung MS-Patienten schützt, die antientzündliche Arzneimittel erhalten, ging jetzt eine britische Studie nach. Die meisten MS-Medikamente, so ein zentrales Ergebnis, beeinträchtigten den Impfschutz nicht. Bei Gabe einiger Immuntherapeutika zirkulierten nach der Impfung jedoch weniger Antikörper gegen SARS-CoV-2 im Blut der Patienten als bei MS-Patienten, die keine Therapie erhielten. Über ihre Erkenntnisse berichten die Wissenschaftler um die Neurologin Emma C. Tallantyre in der Fachzeitschrift Annals of Neurology.

Die meisten MS-Patienten erhalten heute eine antientzündliche Immuntherapie, eine sogenannte Disease-Modifying Therapy (DMT). Sie senkt die Schubrate und bremst den Verlauf der Erkrankung. Eine bestimmte Wirkstoffgruppe unter diesen Immuntherapeutika beeinflusst einen Teil des Immunsystems, der auch für den Aufbau eines Impfschutzes gegen eine Covid-19-Infektion benötigt wird. Das trifft vor allem auf Antikörper wie Ocrelizumab zu. Die Antikörper binden direkt an das CD20-Protein auf der Oberfläche von B-Zellen des Immunsystems und hemmen deren Aktivität. Diese ist jedoch nötig, um körpereigene Antikörper gegen eindringende Erreger wie das Coronavirus SARS-CoV-2 herzustellen.

Bisher nur kleine Studien

Insofern lag die Vermutung nahe, dass eine immunmodulierende Therapie die Wirkung der Impfung beeinträchtigen könnte. Unterstützt wurde der Verdacht durch die Ergebnisse erster kleinerer Studien, die zeigten, dass eine Covid-19-Impfung bei Patienten mit Ocrelizumab-Behandlung weniger anschlug. Auch das Medikament Fingolimod, das Entzündungsprozesse im zentralen Nervensystem unterdrückt, schien die Schutzwirkung einer Impfung einzuschränken.

Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) rät deshalb, eine neue Therapie mit Ocrelizumab oder ähnlichen Substanzen erst nach abgeschlossener Impfung zu beginnen. Patienten, die eine solche Therapie schon länger erhalten, sollten möglichst erst vier Monate nach der letzten Infusion geimpft werden. Bei Fragen zur Covid-19-Impfung empfiehlt die DMSG, sich an den behandelnden Neurologen zu wenden.

Die Empfehlungen der DMSG werden durch die Daten der eingangs erwähnten britischen Studie gestützt. Das Forscherteam konnte dafür in fünf britischen MS-Kliniken knapp 500 Patienten gewinnen. Die Studienteilnehmer entnahmen sich mithilfe einer Kapillare selbst Blut aus der Fingerkuppe und schickten es an das Studienzentrum. Sie berichteten den Forschern von zurückliegenden Coronavirus-Infektionen und teilten ihren Impfstatus mit. Festgehalten wurden auch die aktuell verwendeten MS-Arzneimittel und in welchem Abstand zur Impfung sie verabreicht worden waren.

Gleich oder ähnlich gut

Zunächst fahndeten die britischen Wissenschaftler in den Blutproben der Studienteilnehmer nach Antikörpern gegen das Virus. Fündig wurden sie nur bei einem Viertel der Patienten, die mit Ocrelizumab behandelt wurden, und lediglich bei einem Drittel derjenigen, die Fingolimod erhielten. Patienten, die mit anderen MS-Medikamenten therapiert wurden, zeigten spätestens nach der zweiten Impfung eine ähnlich gute oder gleich gute Antikörperreaktion wie Studienteilnehmer ohne jede MS-Therapie. Gleich gut war die Antikörperreaktion bei Glatirameracetat, Teriflunomid, Natalizumab und Dimethylfumarat. Bei Alemtuzumab war sie mit 86 Prozent und bei Cladribin mit 80 Prozent noch relativ gut.

In einem weiteren Schritt untersuchten die Wissenschaftler, ob auch der jeweilige Impfstoff die Menge an Antikörpern, mit der Patienten auf das Virus reagierten, beeinflusst hatte. Bei den Patienten, die mit Ocrelizumab behandelt wurden, zeigte sich kein Einfluss des Impfstofftyps auf die Bildung von Antikörpern. In der Kontrollgruppe, die eine andere Therapie erhalten hatte, wirkte der Impfstoff von BioNTech/Pfizer besser als der von Oxford-AstraZeneca.

Hilfreiche T-Zellen

Unser Immunsystem kennt noch einen anderen Weg der Virusbekämpfung, und zwar in Gestalt von T-Zellen. Diese spezialisierten weiße Blutkörperchen identifizieren Krankheitserreger an bestimmten Merkmalen, den Antigenen, und attackieren dann entweder selbst oder fordern bei den B-Zellen Hilfe an. Eine Untergruppe dieser Blutzellen, die T-Gedächtniszellen, erkennen nicht nur das Spike-Protein des Virus, sondern auch weitere Oberflächenstrukturen und leisten so einen zusätzlichen Beitrag zum Impfschutz. Zwei Drittel der Studienteilnehmer, die mit Ocrelizumab behandelt wurden, entwickelten auf SARS-CoV-2 spezialisierte T-Gedächtniszellen, fünf von sechs Studienteilnehmer mit einer Fingolimod-Therapie jedoch nicht.

Die Studienautoren plädieren für die weitere Untersuchung von MS-Patienten, die nur wenige Antikörper, aber eine starke T-Zell-Antwort zeigten. Noch ist unklar, wie gut diese Personen vor einer SARS-CoV-2- Infektion geschützt sind und ob die T-Zell-Reaktion stabil ist oder mit der Zeit verblasst.

Therapie und Impfung koordinieren

Die Studie zeigt, dass sowohl die Art der immunmodulierenden Therapie als auch der Impfstofftyp die Reaktion des Immunsystems beeinflussen. Unter Berücksichtigung des Impfzeitpunkts und des jeweiligen Impfstoffs lässt sich auf Basis der neuen Erkenntnisse die Impfwirkung optimieren. Wichtig für viele MS-Patienten ist die Information, dass MS-Medikamente, die anders wirken als Immuntherapeutika wie Ocrelizumab oder Fingolimod, den Impfschutz nicht verringern.