Psyche: Tieftraurig oder depressiv?

Hin und wieder schlecht drauf zu sein, ist normal bei Kindern und Jugendlichen. Sobald negative Gefühle jedoch länger anhalten, sollten Eltern genau hinschauen. Das rät Privatdozentin Dr. Ellen Greimel, Wissenschaftlerin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin am LMU Klinikum München.

Frau Dr. Greimel, die Zahl der Kinder und Jugendlichen, bei denen eine Depression diagnostiziert wurde, ist Statistiken zufolge in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Hat die Corona-Pandemie diesen Trend weiter verschärft?

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen haben sicherlich zu einer Zunahme an psychischen Erkrankungen bei Heranwachsenden geführt. Das legen inzwischen einige Studien nahe und auch in unserer Klinik konnten wir eine Steigerung der Fallzahlen beobachten. Vor allem die Lockdowns waren für viele Kinder und Jugendliche schwierig. Ihr Alltag unterlag massiven Veränderungen, man denke nur an die Schließungen von Schulen und Freizeiteinrichtungen. Hinzu kam die Angst, sich selbst mit dem Virus anzustecken oder davor, dass Familienangehörige schwer erkranken. Für einige junge Menschen war das eine enorme emotionale Stressbelastung. Und das kann ein Auslöser für eine Depression sein.

Emotionaler Stress kann also zur Entstehung einer Depression beitragen. Was muss noch hinzukommen?

Wenn emotionale Belastungen länger andauern, Stress nicht abgebaut werden kann und eine Veranlagung für eine Depression vorliegt, kann das Fass überlaufen. Welche Dinge als belastend wahrgenommen werden, ist von Person zu Person sehr unterschiedlich. Konflikte mit Eltern oder Freunden, Schulstress oder Mobbing, auch über die sozialen Medien, können alles Beispiele für Stressoren sein. Gewalterfahrungen körperlicher, sexueller oder psychischer Art sind immer ein hoher Risikofaktor für eine psychische Erkrankung.

Bereits seit der Jahrtausendwende, also lange vor der Corona-Pandemie, steigt die Zahl psychotherapeutischer Behandlungen bei jungen Menschen. Wie ist das zu erklären?

Einer der Gründe für die Zunahme psychotherapeutischer Behandlungen ist, dass das Bewusstsein in der Gesellschaft für Depressionen und andere psyschische Erkrankungen in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Die Menschen sind teils schon offener geworden und trauen sich mehr, über psychische Probleme zu sprechen, als noch vor einigen Jahren. Allerdings sind psychische Erkrankungen leider immer noch stigmatisiert. Mit unserem Infoportal »ich bin alles«, das wir gemeinsam mit der Beisheim Stiftung entwickelt haben, möchten wir zur Entstigmatisierung speziell der Depression bei Kindern und Jugendlichen beitragen und Betroffene ermutigen, über ihre Gefühle zu reden und sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu holen. Wir möchten außerdem Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern zeigen, was sie vorbeugend tun können.

Was können Eltern denn für die psychische Gesundheit ihres Kindes tun?

Eltern sollten ihrem Kind regelmäßig zeigen und sagen, dass sie es lieben und respektieren, ihm gut zuhören und es bestärken, wenn es über seine Gefühle spricht. Negative Emotionen, Sorgen und Ängste sollten Eltern grundsätzlich ernst nehmen. Wird das Kind ständig kritisiert, vor allem auf herablassende Art und Weise, wächst das Risiko für psychische Erkrankungen wie die Depression. Streitereien innerhalb der Familie lassen sich zwar nicht immer vermeiden, man kann aber versuchen, sie zu reduzieren, und über Lappalien hinwegsehen. Auch ganz einfache Dinge können die psychische Gesundheit fördern – viel Bewegung zum Beispiel, gesunde Ernährung und schöne gemeinsame Erlebnisse.

Gibt es Anzeichen, auf die Eltern besonders achten sollten?

Worauf man unbedingt achten sollte, sind länger anhaltende Phasen von Traurigkeit oder gereizter Stimmung, Antriebslosigkeit und Interessenverlust. Manche Kinder wollen plötzlich nicht mehr am früher heißgeliebten Fußballtraining teilnehmen oder ihre Freunde nicht mehr treffen, anderen ist auf einmal alles zu viel. Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Veränderungen im Appetit, häufige Bauchschmerzen – all das können Anzeichen einer Depression sein. Grundsätzlich gilt: Erst wenn sich mehrere Symptome gleichzeitig über mindestens zwei Wochen intensiv bemerkbar machen, steckt dahinter womöglich eine Depression.

Zeigen Mädchen und Jungen unterschiedliche Symptome?

Viele Symptome gleichen sich, aber einige Unterschiede gibt es doch. Mädchen mit Depression leiden häufig mehr unter Schuldgefühlen und Versagensängsten und einem geringen Selbstwertgefühl. Jungen mit Depression fallen eher durch erhöhte Reizbarkeit auf. Weil sie sich dann schnell persönlich angegriffen fühlen, geraten sie leicht in Streitereien.

Was können Eltern tun, wenn sie bei ihrem Kind eine Depression vermuten?

Zunächst sollten sie ein offenes Gespräch mit dem Kind führen und ihm signalisieren, dass sie ihm helfen wollen. Erhärtet sich der Anfangsverdacht, sollte man sich an eine erfahrene Fachperson wenden. Das ist der beste Weg zu einer zuverlässigen Diagnose und einer fachgerechten Behandlung. Unser Portal liefert da viele nützliche Hinweise – für Eltern, aber auch für Kinder und Jugendliche.