Schmerz: Angenehme Düfte gegen Kopfschmerzen

Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter Kopfschmerzen und Migräne. Nicht medikamentöse und nebenwirkungsfreie Therapien sind für sie von besonderer Bedeutung. Was ein Riechtraining mit angenehmen Düften bewirken kann, zeigte Dr. Laura Zaranek von der Kopfschmerzambulanz des SchmerzCentrums der Universitätsklinik Dresden in einer Studie.

Frau Dr. Zaranek, wie kam es zu der Idee, dass Düfte Kopfschmerzen lindern können?

Bereits eine Pilotstudie von Frau PD Dr. Gudrun Goßrau, Leiterin der Kopfschmerzambulanz von unserem Schmerzzentrum sowie Frau Professorin Antje Hähner vom interdisziplinären Zentrum für Riechen und Schmecken der Uniklinik zeigte, dass sich durch ein Riechtraining bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen die Wahrnehmungsschwelle für Schmerzen erhöhte. Die Betroffenen waren also weniger empfindlich für Schmerzen. Auch in der Literatur fanden wir einige Hinweise, dass angenehme Düfte das Schmerzempfinden verändern können. Die Frage war dann, ob wir den vielen Kindern und Jugendlichen, die wir in unserer Kopfschmerzambulanz behandeln, mit dem Riechtraining eine nicht medikamentöse Therapie anbieten können.

Wie verlief die Studie?

Insgesamt haben daran 80 Kinder und Jugendliche mit Migräne oder Spannungskopfschmerz und einem durchschnittlichen Alter von 13 Jahren teilgenommen. Die Hälfte von ihnen bildete die Kontrollgruppe, die lediglich die in der Kopfschmerzambulanz übliche intensive Betreuung erhielt. Den anderen Kindern wurden zusätzlich zehn Riechstifte mit verschiedenen Düften angeboten, von denen sie sich drei aussuchen sollten. Die Düfte reichten von Schokolade und Zimt über blumige Aromen wie Rose oder Lavendel bis hin zu fruchtigen Düften wie Pfirsich oder Zitrone. Interessanterweise entschieden sich die meisten Kinder für Düfte wie Orange, Erdbeere, Rose oder Zimt. Schokolade kam weniger gut an.

Für die Studie sollten die Kinder drei Monate lang jeweils morgens und abends für zehn bis 15 Sekunden an jedem der ausgewählten Stifte riechen. In einem Riechtagebuch sollten sie dann notieren, wie intensiv sie den Duft wahrgenommen und ob sie ihn als angenehm oder unangenehm empfunden hatten.

Darüber hinaus wurden die Kinder zu Beginn und zum Ende der Studie nach drei Monaten in Fragebögen unter anderem zur Häufigkeit und Intensität ihrer Kopfschmerzen, zur generellen Lebensqualität, zum Schlafverhalten, aber auch zu ihrem Stressempfinden und Medienkonsum oder zu ihren Sportaktivitäten befragt. Außerdem wurde ihre elektrische Schmerzwahrnehmung mithilfe eines TENS-Elektrostimulationsgerätes am Unterarm gemessen. Die mechanische Schmerzwahrnehmung ermittelten wir mit PinPricks, einer Art stumpfer Nadel. Ebenfalls wurde zu Beginn und am Studienende mit einem ausführlichen Riechtest das Riechvermögen der Kinder getestet.

Was haben die Untersuchungen ergeben?

Sowohl in der Behandlungsgruppe als auch in der Kontrollgruppe berichteten die Kinder am Ende der Studie über deutlich weniger Kopfschmerzen; sie fühlten sich in ihrem Alltag auch weniger eingeschränkt. Dass beide Gruppen von der Studie profitierten, hat uns nicht wirklich überrascht, da auch die Kinder in der Kontrollgruppe in der Kopfschmerzambulanz intensiv betreut wurden.

Interessant waren jedoch zwei Aspekte, in denen sich die Kinder, die das Riechtraining absolviert hatten, deutlich von der Kontrollgruppe unterschieden. Zum einen schliefen die Riechtrainierten sehr viel besser als zu Beginn der Studie. Das bestätigt nicht nur ältere Untersuchungen, wonach angenehme Düfte zu einem gesünderen Schlaf führen können. Dieser kann wiederum auch dazu beitragen, dass weniger Kopfschmerz- und Migräneattacken auftreten.

Zum anderen, und das ist das wichtigste Ergebnis, veränderte sich bei den Kindern mit Riechtraining die per TENS-Gerät erfasste Schmerzwahrnehmungsschwelle. Sie reagierten am Ende der Studie deutlich unempfindlicher auf die Schmerzreize als Kinder ohne Training. All das bestätigt erfreulicherweise die These, dass sich Düfte positiv auf die Wahrnehmung von Schmerzen auswirken können – auch bei jungen Kopfschmerz-Patienten.

Wie kann man die positiven Effekte der Düfte erklären?

Der genaue Mechanismus, wie Düfte die Schmerzwahrnehmung beeinflussen, ist noch nicht geklärt. Riechen und Schmerz sind jedoch auf vielerlei Weise miteinander verbunden. So gibt es im Gehirn Überlappungen zwischen Arealen zur Schmerzverarbeitung und solchen zur Verarbeitung von olfaktorischen Informationen, also Gerüchen. Darüber hinaus aktivieren Duftstoffe nicht nur olfaktorische, sondern auch sogenannte trigeminale Nerven, die an der Entstehung von Kopfschmerzen beteiligt sind. Und: Angenehme Gerüche können positive Emotionen auslösen, die vom Schmerz ablenken.

Weitere Erkenntnisse erhoffen wir uns von aktuell laufenden Placebo-kontrollierten Riechstudien unter Leitung von Frau Dr. Goßrau – sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen mit Migräne. Mit den Ergebnissen rechnen wir noch in diesem Jahr.

Auch bei nicht medikamentösen Maßnahmen ist die Therapietreue wichtig. Wie fanden die Kinder das Riechtraining?

Alle Kinder wendeten die Düfte mit Freude an, was sich auch in den Riechtagebüchern nachvollziehen ließ. Lediglich bei einem Kind lösten die Aromen Migräneattacken aus – es musste die Studie abbrechen. Alle anderen führten das Training regelmäßig durch, einige Kinder nahmen die Riechstifte sogar mit in die Schule, um sie bei drohenden Kopfschmerzen zu benutzen. Dass die Kinder sich auf diese Weise selbst helfen konnten, hat uns gefreut. Fast alle Kinder wenden die Stifte auch nach der Studie noch an. Außerdem wird das Riechtraining inzwischen auch den Kindern der Kontrollgruppe angeboten.

Spielt das Riechtraining auch bei anderen Erkrankungen eine Rolle?

Der Einsatz eines Riechtrainings ist Bestandteil der Leitlinientherapie bei Patienten mit Riechstörungen, etwa bei Geruchsverlust aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas oder nach einer Virusinfektion, wie es aktuell häufig bei COVID-19 der Fall ist. Weitere Studien zeigen außerdem positive Effekte eines Trainings bei Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Parkinson.

Noch sind Düfte keine anerkannte Therapie bei Kopfschmerzerkrankungen. Was wenn Migräne- und Kopfschmerzpatienten sie dennoch nutzen wollen?

Die von uns benutzen Riechstifte sind leider nicht frei verkäuflich. Aber es steht natürlich jedem frei, zu Hause Duftkerzen oder Duftöle auszuprobieren. Werden die Düfte als angenehm und wohltuend empfunden, können sie möglicherweise einen positiven Verlauf auf die Kopfschmerzerkrankung haben.