Multiple Sklerose: Per Sprachtest zur raschen MS-Diagnose

Eine App, die gesprochene Wörter und Sätze analysiert, soll künftig dabei helfen, eine beginnende Multiple Sklerose frühzeitig und sicher zu erkennen. Auch für die Verlaufskontrolle der Erkrankung könnte die Methode nützlich sein. In einer Studie in Dresden wird sie derzeit getestet.

Seit jeher gilt die Multiple Sklerose als die Krankheit der tausend Gesichter. Denn jede MS verläuft anders und jeder Patient hat gerade zu Beginn mit ganz unterschiedlichen, oft recht unspezifischen Symptomen zu kämpfen. Deshalb kann es für Ärzte mitunter schwierig sein, die Erkrankung bereits im Anfangsstadium sicher zu erkennen. Das aber ist wichtig, da ein frühzeitiger Behandlungsbeginn sich auf den Verlauf der MS sehr positiv auswirken kann.

Wissenschaftler des MS-Zentrums am Zentrum für klinische Neurowissenschaften der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Dresden haben daher ein Verfahren entwickelt, dass künftig per Sprachanalyse dabei helfen soll, eine beginnende MS frühzeitig zu erkennen und ihren Verlauf zu kontrollieren. Die Sprache der Patienten, die von einer App erfasst und ausgewertet wird, gilt dabei als digitaler Biomarker – also als eine Art Whistleblower des Körpers, der krankhafte Veränderungen ans Licht bringt.

Die Symptome der MS sind vor allem deshalb so vielfältig, weil sich überall im Gehirn Entzündungsherde bilden können, die je nach Lage ganz unterschiedliche neurologische Störungen hervorrufen. Häufig sind das Denken, das Sehen und motorische Fähigkeiten beeinträchtigt. Darüber hinaus leiden die Betroffenen oft schon am Anfang ihrer Erkrankung an Stimmungsschwankungen sowie an starker Erschöpfung und Müdigkeit, auch bekannt als Fatigue.

Oft wird die Sprache undeutlich

All diese Beschwerden wirken sich indirekt auf das Sprechen aus. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie sich unsere Sprache bei freudigen und traurigen Ereignissen verändert, erläutert der Leiter des Dresdener MS-Zentrums, Professor Tjalf Ziemssen. Bei einer MS kommen zum Beispiel Probleme bei der Bildung von Lauten hinzu. Auch eine undeutliche, verwaschene Sprache, eine monotone Sprachmelodie oder Kurzatmigkeit beim Sprechen seien bei den Betroffenen oft zu finden, sagt Ziemssen.

Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- oder Wahrnehmungsstörungen beeinflussen die Sprache ebenfalls. Zum Beispiel kann durch sie das Bilden langer Sätze erschwert sein. Oder selten benutzte Wörter sind auf einmal nicht mehr abrufbar. Solche Veränderungen soll die App erkennen und auf diese Weise ein genaueres Bild über den Zustand des Patienten liefern.

Gute Ergebnisse hat die Sprachdiagnostik bereits bei der Alzheimer-Demenz geliefert. Ein Transfer der Ergebnisse in den MS-Bereich könnte einen signifikanten Beitrag zum besseren Monitoring der durch die Multiple Sklerose ausgelösten Beschwerden leisten, sagt Ziemssen. Bisher sei aufgrund der Vielfalt der Symptome eine lange aufwändige Testung notwendig, um die Facetten der Krankheit und den Schweregrad der einzelnen Symptome darzustellen.

Die Erfassung von Müdigkeit und Depression kann darüber hinaus oft nur über den Selbstbericht der Patientinnen und Patienten erfolgen, was die Objektivität der Verfahren mindert, sagt Ziemssen. Die Sprachanalyse hingegen sei ein einfacher und objektiver Ansatz, um schwer erkennbare Sprechprobleme bei Menschen, die bisher nur leicht durch ihre MS beeinträchtigt seien, zu offenbaren.

Zudem bietet die Sprachanalyse per App die Möglichkeit, diese Untersuchung von zu Hause aus vornehmen zu lassen. Damit wäre nicht nur ein engmaschigeres Monitoring realisierbar, sondern es ließen sich auch Patientinnen und Patienten in die Untersuchung einbeziehen, die beispielsweise aufgrund motorischer Beeinträchtigungen oder der Entfernung zum MS-Zentrum nur in größeren Abständen ihre Visiten wahrnehmen können, erklärt Ziemssen.

Auch eine Ferndiagnose ist möglich

Die Sprachdiagnostik ließe sich auch im Rahmen einer Videosprechstunde vornehmen. Passive Sprachanalysen, bei der die Sprachaufzeichnung während des generellen Arztgespräches erfolgt und analysiert wird, sind ebenfalls denkbar: Sie stellen ein zeitsparendes Verfahren für beide Seiten dar, um auch ohne Ambulanztermin Müdigkeit, Denkprobleme, Depression und die Notwendigkeit einer logo-
pädischen Therapie erfassen zu können
, sagt Ziemssen.

Ob sich Sprachtests analog zur Alzheimer-Diagnostik auch bei der MS als ein wichtiger Marker etablieren lassen, wird derzeit am MS-Zentrum Dresden in einer Studie untersucht. Ziemssen und sein Team möchten die sprachlichen Merkmale von etwa 1.800 MS-Patienten und 200 Menschen ohne neurologische oder psychiatrische Erkrankungen noch genauer miteinander vergleichen, um so das Verfahren weiter zu verfeinern. Interessierte, die an der Studie teilnehmen möchten, können sich unter der Telefonnummer 0351-458 113 60 oder per E-Mail unter VoiceDD@ukdd.de melden.