Psyche: Unfreiwillig nachtaktiv

Nachtschreck, Schlafwandeln, Albträume: Vermutlich jeder Mensch kennt solche nächtlichen Erlebnisse. Parasomnien nennen Schlafmediziner die Störungen, bei denen es im Schlaf oder aus dem Schlaf heraus zu manchmal höchst sonderbarem Verhalten kommen kann. Spätestens wenn es für einen selbst oder andere belastend oder gar gefährlich wird, ist es ratsam, sich ärztliche Hilfe zu suchen.

Bei Kindern sind sie noch relativ häufig, bei Erwachsenen zum Glück eher selten: nächtliche Schlafstörungen, bei denen sich die Betroffenen zuweilen äußerst merkwürdig verhalten – oft ohne irgendetwas selbst davon mitzubekommen. In vielen Fällen sind solche Parasomnien harmlos. Zähneknirschen, Einschlafzuckungen oder Sprechen im Schlaf können zwar lästig sein, auch oder vor allem für die Bettnachbarn, müssen aber in der Regel nicht behandelt werden.

Oft wird das Gehirn nicht richtig wach

Andere Parasomnien hingegen können durchaus gefährlich werden. »Ich hatte einmal einen Patienten, der an Pavor nocturnus, also an Nachtschreck litt«, erzählt Professor Michael Schredl, Wissenschaftlicher Leiter des Schlaf-labors am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. »Er ist im Schlaf aus dem Fenster gesprungen, weil er dachte, seine Wohnung brennt.« Der Unfall ging zwar glimpflich aus, hätte aber auch tödlich enden können. Störungen dieser Art sollten daher stets in einem schlafmedizinischen Labor untersucht werden. »Nur so lassen sie sich richtig diagnostizieren, behandeln und von anderen Erkrankungen abgrenzen«, sagt Schredl.

Der Nachtschreck gehört zu den NREM-Schlaf-Parasomnien, den Aufwachstörungen. Sie treten stets außerhalb der REM-Phase auf. REM ist die Abkürzung für die englischen Wörter rapid eye movement, übersetzt rasche Augenbewegungen. In dieser Schlafphase, die erstmals in der Nacht meist rund anderthalb Stunden nach dem Einschlafen beginnt, bewegen sich die Augen hinter den geschlossenen Lidern schnell hin und her. Das Gehirn ist dabei sehr aktiv und es kommt zu besonders intensiven Träumen.

Schlafmediziner unterscheiden zwischen Parasomnien, die entweder außerhalb oder während der REM-Phasen auftreten. Daneben gibt es auch noch solche, die in allen Schlafstadien entstehen können, also in REM-, Normal- und Tiefschlafphasen. »Bei den NREM-Schlafstörungen wacht das Gehirn gar nicht vollständig auf«, erläutert Schredl. »Die Betroffenen haben zwar die Augen geöffnet und sehen, wo sie hinlaufen, tun aber oft sehr unsinnige Dinge, erkennen bekannte Personen nicht und können sich am nächsten Morgen fast nie an die nächtlichen Geschehnisse erinnern.« Zu den häufigsten NREM-Parasomnien gehören der Nachtschreck, das Schlafwandeln und die Schlaftrunkenheit.

Der Pavor nocturnus beginnt oft damit, dass die Betroffenen aus dem Schlaf heraus, meist am Anfang der Nacht laut schreien und deutliche Zeichen von Angst zeigen. Ihre Augen sind oft weit aufgerissen, vielfach springen sie aus dem Bett. Anders als bei Albträumen werden keine ganzen Traumabfolgen erlebt, sondern allenfalls einzelne Bilder wie eine brennende Wohnung oder auch ein gefährliches Tier. »Etwa jedes fünfte Kind leidet von Zeit zu Zeit an Nachtschreck«, berichtet Schredl. Sorgen müssten sich die Eltern deswegen nicht. »Erst wenn die nächtlichen Episoden öfter als einmal pro Woche vorkommen, sollte man ein Schlaflabor aufsuchen – um dort sicher ausschließen zu lassen, dass es sich um epileptische Anfälle handelt.«

Entspannung am Abend beugt vor

Woher der Nachtschreck kommt und was genau dabei im Gehirn passiert, ist noch wenig verstanden. »Auf alle Fälle scheinen erbliche Faktoren und Stress eine Rolle zu spielen«, sagt Schredl. Behandelt wird der Pavor nocturnus daher vor allem mit abendlichen Entspannungsübungen oder einer Verhaltenstherapie mit dem Ziel, Stress zu reduzieren. Bei Kindern legt er sich fast immer mit der Zeit von selbst.

Schlafwandler werden meist erst mitten in der Nacht aktiv. Sie laufen herum und tun zuweilen sehr sonderbare Dinge. Ansprechbar sind sie in der Regel nur schlecht oder gar nicht. »Wichtig ist daher, die Schlafumgebung so sicher wie möglich zu gestalten, damit es nicht zu Verletzungen kommt«, rät Schredl. »Auch kann es sinnvoll sein, die Wohnungs- oder Haustür abzuschließen und den Schlüssel an einer sicheren Stelle zu deponieren.« Eine schlafwandlerische Sicherheit gebe es nicht.

Auch die Gene spielen eine Rolle

Auch an dieser Aufwachstörung scheinen genetische Faktoren beteiligt zu sein. »Etwa acht von zehn Betroffenen haben in ihrer Familie eine weitere Person, die schlafwandelt«, erklärt Schredl. In stressigen Situationen nimmt die Häufigkeit der Episoden oft zu. Da sie meist im Tiefschlaf beginnen, werden sie zudem durch Faktoren begünstigt, die diese Schlafphase fördern – etwa eine durchwachte Nacht, übermäßiger Alkoholkonsum, beruhigende Medikamente oder Fieber.

»Eine gute Schlafhygiene und Entspannungsübungen vor dem Zubettgehen können folglich helfen, das Schlafwandeln zu reduzieren«, sagt Schredl. Auch bestimmte Vorstellungsübungen seien sinnvoll. Zum Beispiel könne man den folgenden Satz verinnerlichen und sich die Situation immer wieder ganz bildlich ausmalen: »Wenn meine Füße den Boden berühren, wache ich vollständig auf.«

Anders als Schlafwandler bleiben Menschen mit Schlaftrunkenheit im Bett. »Belastend kann diese Störung trotzdem werden, wenn die Betroffenen beispielsweise Wecker überhören oder ausstellen und dadurch oft zu spät zur Arbeit kommen«, sagt Schredl. In solchen Fällen sei es ratsam, sich von einem anderen Menschen wecken zu lassen. Vorstellungsübungen wie die, morgens wirklich vollständig aufzuwachen, könnten ebenfalls helfen.

Zu den wichtigsten REM-Parasom-nien, die überwiegend erst in der zweiten Nachthälfte beginnen, gehören Alpträume, REM-Schlaf-Verhaltensstörungen und Schlaflähmungen. Bei der Schlaflähmung kommt es beim Aufwachen zu einer völligen Lähmung des Köpers. Meist ist es minutenlang nur möglich, zu atmen und die Augen zu bewegen. »Die Störung ist ungefährlich, kann aber vor allem in der ersten Zeit große Ängste verursachen«, sagt Schredl.

Vor allem für den Bettpartner be-ängstigend ist die REM-Schlaf-Verhaltensstörung. Die Betroffenen schreien im Schlaf oder schlagen und treten oft um sich. Dadurch kann es zu gefährlichen Eigen- und Fremdverletzungen kommen. »Bei gesunden Menschen sind während des REM-Schlafs alle Skelettmuskeln blockiert«, erklärt Schredl. Bei Menschen mit einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung hingegen seien diese Mechanismen defekt. Da die seltene Störung inzwischen als Vorbote einer Parkinson-Erkrankung gilt, wird empfohlen, sie unbedingt schlafmedizinisch abzuklären (siehe Interview).

Albträume sind die mit Abstand häufigsten REM-Parasomnien. Eine Alb-
traumstörung, an der etwa fünf von hundert Erwachsenen leiden, diagnostizieren Schlafmediziner jedoch erst dann, wenn die Träume, die meist gut erinnert werden, mindestens einmal in der Woche auftreten oder zu weiteren Symptomen führen, etwa zu Angst vor dem Einschlafen oder anhaltend schlechter Stimmung am Tage. An der Entstehung können viele Faktoren beteiligt sein: die Gene, Stress, traumatische Erfahrungen, Medikamente und psychische Erkrankungen wie Depressionen. Sensible oder kreative Menschen sind oft ebenfalls anfälliger.

Sich den eigenen Ängsten stellen

»Zum Glück gibt es eine einfache und sehr effektive Methode, Albträume zu bewältigen«, sagt Schredl. Im ersten Schritt wird der erlebte Traum aufgeschrieben. Kinder können eine besonders beängstigende Szene malen. Im zweiten Schritt wird sich ein neues positives Ende für den Traum ausgedacht und aufgeschrieben oder gemalt. Die Szene, in der die Angst auslösende Situation aktiv gemeistert wird, stellen sich die Betroffenen dann etwa zwei Wochen lang jeden Tag für ein paar Minuten intensiv vor. »Mithilfe dieser Technik, bei der man sich mit den eigenen Ängsten aktiv auseinandersetzt, werden Albträume meist nach und nach seltener«, sagt Schredl. Der Versuch, die bösen Träume einfach zu vergessen, sei in jedem Fall die schlechtere Option. ab