Multiple Sklerose: Nachahmerpräparate in der MS-Behandlung

Im vergangenen Jahr sind die ersten Generika zur Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) auf den Markt gekommen. Worauf sollten Patienten bei einem Wechsel auf ein solches Nachahmerpräparat achten? Darüber sprach NTC Impulse mit Professor Aiden Haghikia, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Mitglied im Fachausschuss Versorgung und Therapeutika des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS).

Herr Professor Haghikia, welche Arzneimittel beziehungsweise Wirkstoffe können durch Generika, die die originalen MS-Medikamente nachahmen, »ersetzt« werden?

Es geht aktuell um generische MS-Medikamente mit den Wirkstoffen Dimethylfumarat (DMF) und Fingolimod; weitere Substanzen werden in den nächsten Jahren folgen. DMF hat eine entzündungshemmende Wirkung. Fingolimod ist das synthetisch hergestellte Stoffwechselprodukt des Pilzes Isaria sinclairii, der in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) eingesetzt wird. Der Wirkstoff verhindert, dass bestimmte weiße Blutkörperchen in Gehirn und Rückenmark wandern. Die Substanzen begrenzen dort die Schäden, die diese Immunzellen bei Multipler Sklerose vermutlich verursachen.

Was genau sind Generika?

Neue Wirkstoffe lassen sich bis zu 20 Jahre lang mit einem Patent schützen. In dieser Zeit dürfen sie nicht von anderen Firmen nachgemacht werden. Denn Forschung und Entwicklung eines neuen Medikaments sind mit hohen Kosten für den Pharmahersteller verbunden. Der Patentschutz gewährleistet, dass zunächst nur die Firma, die das Arzneimittel entwickelt hat, damit Geld verdienen kann. Ist der Schutz abgelaufen, wie das jetzt bei einigen MS-Medikamenten in Deutschland der Fall ist, können sogenannte Generika auf den Markt kommen. Dabei handelt es sich um Nachahmerpräparate der bereits zugelassenen Originalarznei-mittel. Sie sind eine fast identische Kopie. »Fast« sage ich deswegen, weil sie sich in Form, Farbe und Hilfsstoffen unterscheiden können. Hilfsstoffe sind Substanzen, die den eigentlichen Wirkstoff in seiner Funktion unterstützen. Sie transportieren die Wirksubstanz zum Beispiel an die richtige Stelle im Körper oder sorgen dafür, dass die Substanz nicht zu schnell abgebaut wird. Der eigentliche Wirkstoff des Generikums dagegen muss mit dem Original übereinstimmen.

Generika sind wesentlich preiswerter? Warum?

Generika kosten deutlich weniger als Originalpräparate, weil die hohen Entwicklungskosten wegfallen. In Deutschland leiden rund 250.000 Menschen an Multipler Sklerose, die behandelt werden müssen. Das ist insgesamt mit hohen finanziellen Belastungen für das Gesundheitssystem verbunden.

Sind Generika bei der Behandlung genauso sicher wie die Originalmedikamente?

Wenn die sogenannte Bioäquivalenz für die generischen Medikamente nachgewiesen ist, sind sie genauso sicher. Der Begriff Bioäquivalenz gibt Auskunft darüber, wie schnell der Wirkstoff im Vergleich zum Originalarzneimittel ins Blut gelangt und in welcher Konzentration er wie lange im Blut verbleibt. Arzneimittel gelten als äquivalent, wenn sie sich in diesen Punkten nicht wesentlich unterscheiden. Vor der Zulassung eines Generikums muss ein Pharmahersteller diese Äquivalenz anhand von Studien nachweisen. Generika werden oftmals in den gleichen Produktionsstätten und unter gleichen Gegebenheiten von Tochterunternehmen des Originalherstellers gefertigt. Man kann also in der Regel von einem fast identischen Arzneimittel ausgehen. Und Generika unterliegen ebenso umfangreichen behördlichen Kontrollen wie die Originale.

Können sich aus der MS-Therapie mit Generika dennoch Probleme ergeben?

Die Hilfsstoffe können sich, wie gesagt, von denen der Originalmedikamente unterscheiden und solche Stoffe können unter Umständen zu Unverträglichkeiten führen. Wir wissen das zum Beispiel von Originalarzneimitteln mit Dimethylfumarat, die anfangs Magen-Darm-Beschwerden verursachen können. Die aber lassen sich lindern, indem man die Aufdosierung, also die Steigerung der Tagesdosis, in der Anfangsphase über einen längeren Zeitraum streckt und die Tabletten in den ersten ein bis zwei Monaten zeitgleich mit Milchprodukten einnimmt. Ob es ähnliche Nebenwirkungen bei Generika gibt, wissen wir derzeit noch nicht. Wir werden unsere Erkenntnisse aber zusammentragen.

Müssen Patienten den Ersatz ihres Originalarzneimittels durch ein Generikum akzeptieren?

Ja, die behandelnden Neurologen sind von den Krankenkassen angehalten, ihre Patienten auf ein Generikum umzustellen beziehungsweise es neu zu verordnen. Die Apotheken sind verpflichtet, bei ärztlichen Verordnungen zu prüfen, ob preisgünstigere Alternativen zur Verfügung stehen. Das heißt, Patienten müssen das Generikum nehmen, außer sie können es nachweislich nicht vertragen. Erhalten sie in der Apotheke ein anderes Medikament als das, was sie erwarten, können sie sich von ihrem Apotheker beraten lassen.

Was ist beim Wechsel auf ein Nachahmerprodukt zu beachten?

Gerade bei chronischen Erkrankungen wie der MS kann der Wechsel des Präparates, das Patienten jahrelang einnehmen und kennen, verunsichern. Deswegen ist eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation insbesondere in der Umstellungsphase wichtig. Patienten sollten genau darauf achten, ob sie das Generikum vertragen oder ob sich Nebenwirkungen zeigen, zum Beispiel Hautreaktionen. Diese sollten sie sofort ihrem Arzt melden. In den ersten acht bis zehn Wochen nach der Umstellung sollte außerdem ein Bluttest gemacht werden, um die Immunwerte zu prüfen. Mein Fazit: Generika sind in der Behandlung der Multiplen Sklerose grundsätzlich zu begrüßen, in der Umstellungsphase ist besondere Achtsamkeit geboten. uw

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