Schmerz: Neue Mittel gegen Migräne
Im vergangenen Jahr wurden in Europa gleich drei neue Wirkstoffe gegen die Kopfschmerzattacken zugelassen. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft hat dies zum Anlass genommen, ihre Empfehlungen zur Therapie und Prophylaxe der Migräne zu überarbeiten.
Triptane sind für die meisten Menschen bei einer akuten Migräneattacke noch immer das Mittel der Wahl. Die Medikamente, die es als Tabletten oder als Nasenspray gibt, lindern nicht nur den Kopfschmerz, sondern auch Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit. Zumindest in der Regel: Bei einigen Patienten schlagen Triptane nicht ausreichend an. Andere dürfen sie nicht nehmen. Vor allem für Menschen mit Herz-Kreislauf-Leiden, zum Beispiel Bluthochdruck, koronarer Herzkrankheit, nach einem Infarkt oder Schlaganfall, sind Triptane ungeeignet. Denn sie verengen die Gefäße und erhöhen so das Risiko weiterer kardiovaskulärer Erkrankungen.
Seit Kurzem steht insbesondere für diese Migränepatienten ein Wirkstoff zur Verfügung, der eine akute Attacke bekämpft, ohne das Herz und die Gefäße zu gefährden. Es handelt sich um das Medikament Lasmiditan, das vor gut einem Jahr europaweit zugelassen wurde und zur Gruppe der
Ditane gehört. Ähnlich wie die Triptane verhindert es, dass die Nervenzellen des Gehirns den Botenstoff CGRP ausschütten. Die Abkürzung steht für die englische Bezeichnung Calcitonin Gene-Related Peptide. Bei der Entstehung der Migräne in den Blutgefäßen der harten Hirnhaut spielt dieses Neuropeptid eine entscheidende Rolle.
Wenn Triptane nicht helfen
An den Studien, die zur Zulassung von Lasmiditan geführt haben, hatten gezielt auch Migränepatienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren teilgenommen. Wie sich herausstellte, war ihr Risiko für einen Infarkt, einen Schlaganfall oder andere schwerwiegende Herz-Kreislauf-Probleme durch die Einnahme des Medikaments nicht spürbar erhöht. Somit sei Lasmiditan gerade für diese Menschen eine weitere Option, sagt der Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), Privatdozent Dr. Tim Jürgens. Ein zusätzlicher Vorteil des neuen Medikaments sei, dass es oft auch jenen Patienten helfe, denen Triptane keine Linderung verschaffen, ergänzt der Chefarzt der Klinik für Neurologie am KMG Klinikum Güstrow.
Lasmiditan, das in Deutschland seit März dieses Jahres erhältlich ist, ist nicht der einzige neue Wirkstoff im Kampf gegen die Migräne. Nur vier Monate nach dessen Zulassung kam im Sommer des vergangenen Jahres das Medikament Rimegepant in Europa auf den Markt. Es gehört zur Gruppe der Gepante und richtet sich ebenfalls gegen den Botenstoff CGRP. Allerdings blockiert es nicht wie Lasmiditan und die Triptane die Ausschüttung des Neuropeptids, sondern heftet sich an dessen Rezeptoren, also an die CGRP-Bindungsstellen auf den Zellen des Gehirns. So verhindert das Medikament, dass der Botenstoff dort seine qualvollen Wirkungen auslösen kann.
Auch zur Prävention geeignet
»Rimegepant ist nicht nur das erste zugelassene Gepant, sondern auch die erste Substanz, die sowohl zur Akuttherapie als auch zur Prophylaxe eingesetzt werden kann«, sagt Jürgens. Zwar scheint der Wirkstoff gegen akute Attacken nicht ganz so gut zu helfen wie die Triptane. Dafür lässt er sich auch vorbeugend einnehmen: Bisherige Untersuchungen deuten Jürgens zufolge nicht darauf hin, dass er bei regelmäßiger Einnahme Kopfschmerzen verursacht, die durch einen zu hohen Gebrauch von Migräne- und Schmerzmitteln ausgelöst und von Medizinern auch Medication Overuse Headache, kurz MOH genannt werden. Rimegepant wird in Deutschland voraussichtlich Mitte des Jahres erhältlich sein.
Auch die gegen CGRP oder dessen Rezeptoren gerichteten Antikörper, die bei Patienten mit häufigen und starken Attacken vorbeugend injiziert werden können, haben Anfang letzten Jahres Zuwachs bekommen. Der neuste Wirkstoff heißt Eptinezumab, mit ihm stehen mittlerweile vier verschiedene Antikörper zur Wahl. »CGRP-Antikörper zur Migräneprophylaxe zum Beispiel bei Erwachsenen ab vier Migränetagen pro Monat sind eine willkommene Alternative mit besonders schneller Wirkung und günstigem Nebenwirkungsprofil«, sagt Jürgens. »Allerdings dürfen sie mit einer Ausnahme nur dann verschrieben werden, wenn sämtliche Therapiemöglichkeiten zuvor erfolglos ausgeschöpft wurden.« Diese Vorgabe ist nicht ganz im Sinne des Neurologen: Eine breitere Verordnungsfähigkeit wäre für die Patienten wünschenswert, sagt Jürgens. Denn die Antikörper seien wirksamer und verträglicher als konventionelle Therapien.
Keine starren Regeln mehr
Die vielen Neuerungen im vergangenen Jahr hat die DMGK zum Anlass genommen, ihre Leitlinien zur Therapie und Prophylaxe der Migräne zu aktualisieren. Demnach dürfen die beiden Wirkstoffe Lasmiditan und Rimegepant bei akuten Migräneattacken immer dann eingesetzt werden, wenn klassische Kopfschmerzmittel oder Triptane nicht ausreichend wirken oder aufgrund anderer Erkrankungen oder Risikofaktoren kontraindiziert, das heißt nicht zu empfehlen sind.
Die starren Regeln, die bislang für die vorbeugenden Wirkstoffe galten, wurden in den neuen Leitlinien aufgeweicht. Inzwischen empfiehlt die DMKG eine individuell gestaltete Prophylaxe, die sich am Leidensdruck der jeweiligen Patienten orientiert. Um Migräneattacken bereits im Vorfeld zu verhindern, stehen zahlreiche Wirkstoffe zur Verfügung: Betablocker, Amitriptylin, Topiramat, Flunarizin, Botulinumtoxin
bei chronischer Migräne sowie die vier Antikörper mit den komplizierten Namen Erenumab, Fremanezumab, Galcanezumab und Eptinezumab.
Ausdauersport beugt vor
Antikörper dürfen momentan allerdings erst dann verordnet werden, wenn die anderen vorbeugenden Wirkstoffe entweder nicht geholfen haben, nicht vertragen wurden oder kontraindiziert sind. Die empfohlene Dauer der medikamentösen Prophylaxe beträgt bei leicht betroffenen Patienten neun bis zwölf Monate, bei schwer betroffenen mit häufiger Migräne oder Begleiterkrankungen zwölf bis 24 Monate. Währenddessen muss der Arzt regelmäßig kontrollieren, ob die Maßnahme effektiv ist und sich die Zahl der monatlichen Migräneattacken durch sie spürbar reduziert.
Besonderen Wert legen die neuen Leitlinien zudem auf nicht-medikamentöse Verfahren. Sie empfehlen vor allem Ausdauersport, Entspannungstechniken und Verhaltenstherapien als effektive und leicht umsetzbare Methoden, um den Attacken vorzubeugen. Als nicht empfehlenswert stufen sie hingegen unter anderem die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln oder Probiotika sowie homöopathische Behandlungen ein. Diese Maßnahmen können Migräneanfälle der DMKG zufolge nicht verhindern.