Multiple Sklerose: Digitale Hilfestellungen für Alltag und Therapie

Neurologische Krankheiten können Funktionsstörungen der Blase und Beschwerden wie Inkontinenz und Harnwegsinfekte oder sogar Nierenkomplikationen verursachen. Wichtig sind daher eine rechtzeitige Diagnose und eine effektive Therapie.

MöglicheKomplikationen

»Die Betroffenen leiden darunter, häufig zur Toilette gehen zu müssen, dann jedoch immer nur kleine Mengen Urin entleeren zu können«, sagt Professor Arndt van Ophoven, Leitender Arzt der Abteilung für Neuro-Urologie am Marien Hospital Herne. »Der übermäßige Harndrang hat zudem oft zur Folge, dass die Patienten nachts schlecht schlafen und immer wieder aufwachen.«

Eine Fehlfunktion des unteren Harntraktes kann weitere Folgen haben. Dazu zählen neben einer Inkontinenz, also dem ungewollten Verlust von Urin, und häufigen Harnwegsinfekten auch Auswirkungen auf den oberen Harntrakt. Dort kann es aufgrund eines erhöhten Blasendrucks zu einer Schädigung des Nierengewebes und erheblichen Einschränkungen der Nierenfunktion kommen. Einige dieser Komplikationen können für die Patienten sogar potenziell lebensbedrohlich sein.

»Blasenfunktionsstörungen müssen unbedingt frühzeitig behandelt werden. Das Ziel einer effektiven Therapie ist die Reduzierung von Harnwegsinfekten, eine ausreichende Speicherfunktion der Blase sowie vor allem die druck-arme Entleerung der Harnblase zum Schutz der Nieren«, so van Ophoven.

Bewährt haben sich Medikamente, sogenannte Anticholinergika, die entweder oral eingenommen oder direkt in die Blase injiziert werden. Sie blockieren den Botenstoff Acetylcholin,wodurch sich die Blasenmuskulatur entspannt. So kann der Harndrang verringert und die Aufnahmekapazität der Blase erhöht werden. Zudem kann eine Injektion von Botulinumtoxin aufgrund der muskellähmenden Wirkung die Überaktivität des Blasendetrusors senken. Arndt van Ophoven: »Für jeden Patienten sollte nach der optimalen Behandlung gesucht werden – unter Berücksichtigung der neurologischen Grunderkrankung, individuell passender Anwendungsformen und etwaiger Nebenwirkungen.«

MS-Patienten meist unterbehandelt

»Bei Patienten mit einer Querschnittlähmung oder einer angeborenen Fehlbildung der Wirbelsäule gehört es meist zum Alltag, dass sie Medikamente einnehmen oder einen Katheter verwenden müssen, um eine Inkontinenz zu vermeiden und die Blase zu entlasten«, sagt van Ophoven. »Anders bei Multiple Sklerose-Patienten: Viele wissen nicht, dass Blasenfunktionsstörungen mit der MS zusammenhängen können.«

Dabei leiden bereits bei der MS-Erstdiagnose etwa zehn Prozent der Betroffenen unter Symptomen einer neurogenen Störung des unteren Harntraktes. Im Verlauf der Erkrankung entwickeln sich Umfragen und urologischen Untersuchungen zufolge bei bis zu 90 Prozent der Patienten entsprechende Beschwerden. Das schränkt die Betroffenen sozial extrem ein und kann auch den Verlauf der MS-Erkrankung negativ beeinflussen. Zudem können die Blasenprobleme auch mit Depression und Fatigue zusammenhängen, wie eine Untersuchung des Universitätsklinikums Bonn zeigt.

»Auch wenn die Symptome und Folgen von Blasenfunktionsstörungen die Lebensqualität von Betroffenen erheblich beeinträchtigen, werden sie viel zu selten beachtet«, sagt der Herner Neuro-Urologe. Schätzungen zufolge würden die Blasenprobleme bei mehr als der Hälfte aller MS-
Patienten nicht angemessen behandelt.

Probleme rechtzeitig ansprechen

Wichtig ist folglich, dass Patienten mit einer neurologischen Erkrankung, insbesondere MS-Patienten, bei entsprechenden Beschwerden eine mögliche Beeinträchtigung der Harnblasenfunktion in Betracht ziehen. Und auch wenn sie keine offensichtlichen Symptome wie Harndrang und Inkontinenz hätten, könne bereits ein durchgemachter Harnwegsinfekt ein Hinweis auf eine Blasenfunktionsstörung sein, sagt van Ophoven und fügt hinzu: »Betroffene sollten sich nicht scheuen, das heikle Thema Blasenprobleme mit ihrem Neurologen oder einem Urologen zu besprechen, um zeitnah eine effektive Therapie zu erhalten.« ag