Schmerz: Wie Sport Kopfschmerzen lindern kann
Kopfschmerzen zählen zu den am weitesten verbreiteten Gesundheitsstörungen und haben vielfältige Ursachen. Sport nimmt hier eine Doppelrolle ein: Denn Bewegung kann Kopfschmerzen triggern – oder ihrem Auftreten vorbeugen.
Bewegung ist die beste Medizin: Mit diesem Slogan warb die Trimm-Dich-Bewegung der 1980er-Jahre für moderaten Ausdauersport. Denn mäßige, aberregelmäßige körperliche Aktivitäten, zumal an der frischen Luft, halten den Kreislauf in Schwung, kurbeln den Stoffwechsel an, wirken Fehlhaltungen entgegen und kräftigen auch jene Muskeln, die bei den überwiegend sitzenden Tätigkeiten vieler berufstätiger Menschen zu verkümmern drohen. »Tatsächlich belegen etliche Studien, dass man durch moderaten Ausdauersport, der die Herzfrequenz nicht über 120 Schläge pro Minute hochtreibt, auch Migräneattacken reduzieren kann«, sagt Professor Hartmut Göbel, Leiter der Neurologisch-verhaltensmedizinischen Schmerzklinik Kiel. Deshalb empfiehlt der Arzt, dreimal in der Woche in Maßen Sport zu treiben: »Bewegung ist, zusammen mit einer guten Ernährung sowie genügend Entspannung, ein einfaches und effektives Mittel zur Vorbeugung von Migräne und anderen Formen von Kopfschmerz.«
Zur Vorbeugung, wohlgemerkt. Denn wer jemals eine Migräneattacke erlitten hat, weiß: Jede Erschütterung, jede kleinste Bewegung macht alles nur schlimmer. »Das ist ja gerade ein Kennzeichen einer akuten Migräneattacke, dass sportliche Aktivitäten oder auch nur Treppensteigen den Schmerz verstärken. Da ist man überempfindlich und will nichts hören und sehen. Am besten legt man sich dann ins Bett, zieht die Vorhänge zu und wartet, bis es besser wird«, rät Göbel.
Energie fürs Gehirn
Migräne ist eine eigenständige, komplexe Kopfschmerzerkrankung. Entsprechend komplex sind die Ursachen, die die gefürchteten Attacken auslösen. »Oft haben sehr leistungsfähige Menschen Migräne, deren Gehirn, genetisch bedingt, ständig im Turbomodus arbeitet und deshalb eine höhere Energiezufuhr braucht«, betont der Kieler Neurologe. Wenn nun der Reizpegel steigt, wenn alles zu viel, zu schnell, zu plötzlich auf dieses ohnehin stark beanspruchte Gehirn einwirkt, kann es die Last nicht mehr ohne Weiteres bewältigen. »Dann brauchen die Nervenzellen mehr Energie als die molekularen Energiepumpen einschleusen können. Um das zu kompensieren, weitet das Gehirn die Gefäße im Kopf, damit sie mehr Blut zu den Nervenzellen transportieren und diese mit Energie versorgen«, erklärt Hartmut Göbel.
Erreicht wird dies durch die Freisetzung eines als CGRP bezeichneten Eiweißstoffes aus der Klasse der Neuropeptide. Doch die von ihm herbeigeführte Weitung der Gefäße geht mit örtlichen Entzündungen und einer höheren Schmerzempfindlichkeit einher. »Jeder Pulsschlag, den man zuvor gar nicht gespürt hat, tut dann plötzlich weh«, sagt Göbel und fügt hinzu: »Solange CGRP verstärkt freigesetzt wird, hält die Migräneattacke an. Sie endet erst, nachdem sich das ganze System nach zwei bis drei Tagen wieder erholt hat.«
Frische Luft tut gut
Zwar gibt es verschiedene Medikamente, die die Entzündungsstoffe oder das von ihnen ausgelöste Schmerzempfinden blockieren. »Aber viel besser ist es, wenn man es gar nicht erst dazu kommen lässt und das Nervensystem stets ausreichend mit Energie versorgt«, sagt Göbel. Hier komme der Sport ins Spiel: »Wenn ich mich draußen bewege und kräftig durchatme, kann ich mehr Sauerstoff ins Gehirn bringen. Das tut mir gut, ich fühle mich frischer.« Beim Sport könne man sich auch psychisch entspannen. Folglich erlebe das Gehirn weniger Stress, könne sich schneller regenerieren und habe einen geringeren Energiebedarf. Göbel: »All das führt dazu, dass Sport sich positiv auf die Gesundheit auswirkt und Kopfschmerzen vorbeugen kann.« Extreme Sportarten wie Gewichtheben oder Sprinten, bei denen die Herzfrequenz schnell auf 150 Schläge pro Minuten ansteigt, sowie Aufenthalte in extremer Höhe, wo die Luft weniger Sauerstoff enthält, sollten Migränepatienten allerdings vermeiden. Zuträglicher sind gleichmäßige, konstante, ruhige Sportarten wie Fahrradfahren, Spazierengehen oder Walking.
Allerdings trifft dies nicht uneingeschränkt auf alle Betroffenen zu, wie eine niederländische, im Journal of Headache and Pain erschienene Studie zeigt. Immerhin 39 von 103 überwiegend weiblichen Personen, die in einer Kopfschmerzambulanz über ihre Erfahrungen mit Sport als Trigger von Migräne befragt wurden, berichteten von Attacken während oder 48 Stunden nach sportlichen Aktivitäten, vor allem nach dem Jogging oder einem Tennismatch. Die Hälfte der Betroffenen gab die genannten Sportarten deshalb auf.
Jedoch berichtete die Mehrzahl der Befragten, dass weniger intensive Sportarten unproblematisch seien. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass gemäßigter Ausdauersport Migräneattacken vorbeugen kann: »In Studien erwies sich der Effekt von sportlichen Aktivitäten den vorbeugend eingenommenen Medikamenten als ebenbürtig«, betont Hartmut Göbel.
Trinken nicht vergessen!
Bewegung ist freilich nicht alles. Denn um optimal zu arbeiten, braucht das Gehirn neben Sauerstoff auch Wasser und Energie in Form von Kohlenhydraten. »Wenn eine dieser drei Komponenten nicht in ausreichender Menge vorhanden ist, wehrt sich das Gehirn. Wer unterzuckert ist oder zu wenig getrunken hat, bekommt also ebenso leicht Kopfschmerzen wie jemand, dem es an Sauerstoff mangelt«, warnt Göbel. Wer etwa auf nüchternen Magen joggen oder eine Bergtour beginnen wolle, dürfe sich nicht wundern, wenn sich Kopfschmerzen oder, bei entsprechender Veranlagung, Migräneattacken einstellten, mahnt Hartmut Göbel: »Denn die Muskeln holen sich die Energieträger und die nötige Flüssigkeit. So bleibt für den Kopf nicht mehr genug übrig und die Nervenzellen reagieren mit Kopfschmerzen.« Daher sei es enorm wichtig, sich entsprechend vorzubereiten: »Wer vor dem Sport Kartoffeln, Reis oder Vollkornprodukte zu sich nimmt und täglich zwei bis drei Liter Flüssigkeit trinkt, hat beste Chancen, den Kopfschmerz zu vermeiden.«
Ursachen abklären
Die medizinische Diagnostik unterscheidet 367 unterschiedliche Formen von Kopfschmerzen. Einige von ihnen werden durch Funktionsstörungen oder infolge von Verletzungen verschiedener Organe oder Körperteile verursacht. Sport ist in diesen Fällen nicht immer hilfreich und kann sogar kontraproduktiv sein. Wer an wiederkehrenden Kopfschmerzen leidet, sollte deren Ursache daher unbedingt durch erfahrene Ärzte abklären lassen.