Schmerz: Besser ohne Multitasking

Viele Menschen fühlen sich gestresst, wenn sie mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen müssen. Kein Wunder. Denn wie Forschende jetzt gezeigt haben, versetzt Multitasking unseren Körper in erhöhte Alarmbereitschaft.

Einem Vortrag lauschen, gleichzeitig Dokumente sichten und parallel dazu E-Mails beantworten – im heutigen Arbeitsalltag ist das keine Seltenheit. Zunehmend verrichten wir mehrere Aufgaben zeitgleich und werden dabei oft noch durch Störungen von außen unterbrochen.

»Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass Multitasking stressig ist«, sagt Dr. Linda Becker. Die Psychologin forschte bis vor Kurzem am Lehrstuhl für Gesundheitspsychologie der Universität Erlangen-Nürnberg und arbeitet jetzt an der privaten Vinzenz Pallotti University im rheinland-pfälzischen Vallendar. »Bisher gab es jedoch kaum Untersuchungen dazu, was genau beim Multitasking im Körper passiert«, sagt Becker.

Dass Multitasking uns auch biologisch stresst, zeigt jetzt eine neue Studie mit knapp 200 Teilnehmern unter der Leitung von Linda Beckers
Forschungsteam an der Universität Erlangen-Nürnberg. Beteiligt waren auch Wissenschaftler von der Ludwig-Maximilians-Universität in München und der Universität Bonn; veröffentlicht wurden die Ergebnisse kürzlich in der Fachzeitschrift Psychoneuroendocrinology.

Messbarer Stress

Die Probanden mussten in 20 Minuten ein unterschiedliches Aufgabenpensum erfüllen. Während einige nur einen Film anschauten, sollten andere am Computer eine Buchstabenabfolge auf eine bestimmte Kombination absuchen.

Bei Letzteren wurde ein Teil der Teilnehmenden zusätzlich durch am Bildschirm aufpoppende Fragen unterbrochen, die es zu beantworten galt; andere hatten die Anweisung bekommen, beide Aufgaben durchgehend parallel zu bearbeiten. Wieder andere sollten darüber hinaus einer Person im gleichen Raum Wörter nennen, die mit einem bestimmten Buchstaben anfingen – sie erlebten also Multitasking par excellence.

Anhand von Speichelproben vorher und nachher untersuchten die Forschenden, ob und welche körperlichen Stressreaktionen bei den Teilnehmenden während der Bearbeitung ansprangen. Das Ergebnis: Bei Personen, die mit zwei oder mehr Aufgaben befasst waren – gleichgültig, ob parallel oder abwechselnd – wurde im zwanzigminütigen Versuchszeitraum das sympathische Nervensystem aktiviert. Das ist der Teil unseres Nervensystems, das uns in hohe Leistungsbereitschaft versetzt und uns beispielsweise auf Angriff oder Flucht vorbereitet. Die Hormone Adrenalin und Noradrenalin werden frei, das Herz beginnt, schneller zu schlagen, die Blutgefäße verengen sich und der Blutdruck steigt.

Bei der Gruppe hingegen, die nur eine Aufgabe zu erledigen hatte, die also vom klassischen Multitasking verschont blieb, wurde das sympathische Nervensystem nicht angeschaltet.

Dauerhafter Stress macht krank

»Wir fühlen uns beim Multitasking also nicht nur gestresst, sondern unser Körper reagiert auch dementsprechend«, sagt Linda Becker. Und sie warnt: »Aus anderen Studien wissen wir, dass es körperlich krank machen kann, wenn das sympathische Nervensystem langfristig aktiviert ist.«

Die Psychologin rät daher dazu, Multitasking, wo immer es geht, zu vermeiden. Also möglichst immer nur eine Aufgabe nach der anderen anzugehen und beispielsweise das Handy auszuschalten, um ungestört arbeiten zu können. Das ist im heutigen Arbeitsalltag natürlich nicht immer möglich. »Daher sollten wir uns genügend Zeit geben, um uns nach einer Phase des Multitaskings zu erholen − sodass unser Körper wieder herunterfahren kann und nicht dauerhaft in dieser Alarmbereitschaft verbleibt.« Auch deshalb sei es wichtig, im stressigen Alltag ausreichend Pausen einzubauen.

Multitasking lohnt sich nicht

Beim Multitasking ist nicht nur unser Körper einer stärkeren Belastung ausgesetzt, vermutlich leidet auch die Qualität, mit der wir die Aufgaben erledigen. Zwar ist das menschliche Gehirn beeindruckend komplex und zu erstaunlichen Leistungen fähig, aber seine Kapazität und Aufnahmefähigkeit ist begrenzt.

Da hilft selbst Übung wenig, zeigte ein Forschungsteam der Stanford University 2009 in einer Studie. Verglichen wurden Menschen, die im Privat- und Berufsleben ständig verschiedene Medien gleichzeitig konsumieren – etwa auf dem Handy surfen, während sie einen Film schauen – mit anderen Personen, die das für gewöhnlich nicht tun. Beide Gruppen mussten am Bildschirm rotfarbige Rechtecke miteinander vergleichen; gleichzeitig wurden blaue Rechtecke eingeblendet, die ignoriert werden sollten. Die »Medien-Multitasker« schnitten in dem Test überraschenderweise schlechter ab: Sie ließen sich durch die andersfarbigen Figuren leichter von ihrer Aufgabe ablenken. Vermutlich, so heißt es in der Studie, hatten die Multitasker die Fähigkeit verlernt, aktuell Unwichtiges auszublenden.