Parkinson: Die neue Sicht auf Parkinson

Nach acht Jahren hat die neue Leitlinie ihre Vorgängerin abgelöst. Die letzten Empfehlungen zur Parkinson-Krankheit hatte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie im Jahr 2015 herausgegeben. »Seither ist viel passiert«, sagt Professor Günter Höglinger, Direktor der Neurologischen Klinik des LMU Klinikums am Campus Großhadern in München. »Es wurden neue Verfahren entwickelt, um Parkinson frühzeitig zu erkennen, neue Medikamente zugelassen und innovative Therapien etabliert.«

Zudem habe man zahlreiche Erkenntnisse über die Diagnose und Behandlung der nicht motorischen Symptome der Parkinson-Krankheit gewonnen und darüber hinaus neue Versorgungsformen für die betroffenen Menschen erprobt, ergänzt Höglinger. »Somit war es dringend an der Zeit, die vielen Einsichten und Möglichkeiten in konkrete Empfehlungen für die optimale Betreuung unserer Patientinnen und Patienten umzusetzen«, sagt der Mediziner, der die Erstellung der neuen Leitlinie gemeinsam mit seiner Kollegin Professorin Claudia Trenkwalder von der Paracelsus-Elena-Klinik Kassel koordiniert und das Werk federführend verantwortet hat.

Die neuen Empfehlungen dürften das Leben einer großen Zahl von Betroffenen künftig verbessern. Allein in Deutschland sind mehr als 500.000 Menschen an Parkinson erkrankt. Das wichtigste Symptom der Krankheit ist die Verlangsamung der willkürlichen Motorik, in der Fachsprache Bradykinese genannt. Hinzu kommen bei den meisten Patienten eines oder mehrere der folgenden Merkmale: Rigor, also Muskelsteifheit, Tremor, das heißt Zittern, sowie eine instabile Körperhaltung. Auch zahlreiche andere Beschwerden wie Verstopfung, Schlafstörungen, ein nachlassender Geruchssinn oder Depressionen können mit der Erkrankung einhergehen.

Die erste Änderung, die die neue Leitlinie bereithält, klingt womöglich banal, ist es aber nicht: Es wird den Ärzten dazu geraten, nicht länger von einem Idiopathischen Parkinson-Syndrom, kurz IPS, zu sprechen, sondern von jetzt an ausschließlich die allgemeinere Bezeichnung Parkinson-Krankheit zu verwenden. »In der Vergangenheit wurden beide Begriffe häufig synonym benutzt«, erläutert Höglinger. »Im Laufe der Jahre haben wir jedoch immer deutlicher erkannt, dass eine relevante Anzahl von Patientinnen und Patienten nicht unter einer idiopathischen Erkrankung leiden, also an einer Krankheit ohne erkennbare Ursachen, sondern dass ihre Symptome durch genetische Varianten oder Mutationen verursacht werden und somit sehr wohl eine spezifische Ursache haben.«

Träger der Genveränderungen sind insbesondere Menschen, bei denen Parkinson bereits recht früh im Leben auftritt. Noch unterscheiden sich die Therapieempfehlungen für Menschen mit einer genetisch bedingten Erkrankung zwar nicht von denen für Patienten ohne erkennbare Krankheitsursache. Das könnte sich in naher Zukunft jedoch ändern. »Auf der ganzen Welt forschen Wissenschaftler und Mediziner intensiv an Möglichkeiten, Parkinson noch zielgerichteter, also noch besser an die einzelnen Patientinnen und Patienten angepasst, zu behandeln«, sagt Höglinger.

Eine genetische Untersuchung sollte gemäß den neuen Empfehlungen derzeit lediglich dann erfolgen, wenn entweder zwei Verwandte ersten Grades oder ein Verwandter ersten und ein Verwandter zweiten Grades an Parkinson leiden oder wenn die Krankheit bereits vor dem 50. Geburtstag ausbricht. »Momentan dient ein solcher Test in erster Linie der Sicherung der Diagnose und der Familienberatung«, sagt Höglinger.

Die nächste wichtige Änderung betrifft die Diagnose von Parkinson: Erstmals sind in der Leitlinie auch Kriterien enthalten, um die Krankheit bereits in einem sehr frühen Stadium zu erkennen, wenn noch kaum oder keine motorischen Einschränkungen vorliegen. »Mit einer frühen Diagnose erhalten die Patientinnen und Patienten nicht nur Klarheit über ihren Gesundheitszustand, sondern auch mehr Planungssicherheit für ihr weiteres Leben«, sagt Höglinger. »Der schnelle Zugang zu einer adäquaten Therapie kann ihre Lebensqualität verbessern und ihnen angesichts der guten Behandlungsmöglichkeiten der Krankheit viel Zuversicht spenden.«

Der Weg zur Diagnose

Aus all diesen Gründen finden sich in der neuen Leitlinie Hinweise, wie sich eine beginnende Parkinson-Krankheit beispielsweise anhand von Verstopfung, Riech- oder Schlafstörungen, Depressionen, aber auch milden motorischen Symptomen besser erkennen lässt. »Zeigt eine Patientin oder ein Patient erste mögliche Anzeichen von Parkinson, wird beispielsweise ein Geruchstest empfohlen oder auch eine spezielle Untersuchung im Schlaflabor auf eine sogenannte REM-Schlaf-Verhaltensstörung«, erläutert Höglinger.

Darüber hinaus rät die Leitlinie dazu, zur Diagnose künftig die MDS-Kriterien aus dem Jahr 2015 heranzuziehen. MDS ist die Abkürzung der medizinischen Fachgesellschaft International Parkinson and Movement Disorder Society. Deren Kriterien hätten sich als deutlich zuverlässiger herausgestellt als die der Parkinson‘s UK Brain Bank, die in den alten Leitlinien empfohlen worden seien, sagt Höglinger.

»Zudem ist es wichtig, die Diagnose regelmäßig und langfristig zu überprüfen, insbesondere um motorische Schwankungen, also Phasen guter und schlechter Beweglichkeit, sowie Störungen von Bewegungsabläufen, die Dyskinesien, als unterstützende Zeichen für die Parkinson-Krankheit zu identifizieren«, ergänzt der Neurologe. Die Sicherheit der Diagnose erhöhe sich dadurch nach spätestens fünf Jahren signifikant.

Bildgebende Verfahren sollen zum Erkennen der Krankheit ebenfalls eingesetzt werden. Bei einem Verdacht auf Parkinson raten die Leitlinien zu einer frühzeitigen MRT-Aufnahme des Kopfes, auch um andere Erkrankungen auszuschließen. Ein CT, also ein Computertomogramm, wird hingegen nicht mehr empfohlen.

Viel Neues hält die Leitlinie zudem zur Therapie bereit. Nahezu alle Empfehlungen zur Behandlung der motorischen und nicht motorischen Symptome wurden modifiziert, durch neue Erkenntnisse untermauert oder durch neue Inhalte ergänzt. »Es ist wichtig, die Therapie rechtzeitig, altersgerecht, effizient und im Einklang mit den Therapiezielen der Erkrankten zu beginnen«, sagt Höglinger.

Dementsprechend sollen gerade zu Beginn der medikamentösen Behandlung, wenn zunächst in der Regel nur ein Medikament verordnet wird, neben der Schwere der motorischen Symptome beispielsweise auch das Alter und Begleiterkrankungen des Patienten, psychosoziale Aspekte sowie mögliche Nebenwirkungen des Präparats berücksichtigt werden.

Vor allem bei jüngeren Patienten raten die Leitlinien dazu, zunächst eher einen Dopaminagonisten oder einen MAO-B-Inhibitor zu verordnen, welche längerfristig zu einer geringeren Rate an unwillkürlichen Bewegungen führen. Wenn das oft wirksamere Präparat Levodopa von Beginn an erforderlich ist, soll es aber auch gegeben werden.

Empfehlungen zur Kombinationstherapie

Im weiteren Krankheitsverlauf werden meist verschiedene Substanzen miteinander kombiniert. »Die Leitlinien geben hierzu detaillierte Empfehlungen für besondere Situationen und auch für Substanzen, die nicht mehr verwendet werden sollten«, sagt Höglinger. Mit fortschreitender Krankheit nimmt die Wirkung der Medikamente häufig ab. »Kommt es in dieser Situation zu motorischen Schwankungen oder unkontrollierten Bewegungen, kann durch eine Änderung oder Erweiterung der Medikation oft wieder eine Verbesserung erzielt werden«, erläutert Höglinger.

Konkrete Hinweise, zum Beispiel zu Levodopa-Retard-Medikamenten, die länger im Körper wirken, aber auch zu schnell löslichen oder inhalierbaren Präparaten, die akute Beschwerden rasch lindern, sind in der Leitlinie ebenfalls zu finden. Zudem erläutert sie, in welchen Situationen eine zusätzliche Gabe von Dopaminagonisten, MAO-B-Inhibitoren oder COMT-Hemmern sinnvoll sein kann.

»Natürlich kann niemand all diese vielfältigen Empfehlungen jederzeit im Kopf haben«, sagt Höglinger. »Menschen, die beruflich mit Parkinson-Patientinnen und -Patienten zu tun haben, sollten sich aber zumindest einmal einen Überblick darüber verschaffen, welche Themen in der meines Erachtens wirklich gut strukturierten Leitlinie behandelt werden.« So könne man die gewünschten Informationen bei Bedarf rasch finden. Und die Betroffenen selbst sollten sich nicht scheuen, ihren Ärztinnen und Ärzten sämtliche Beschwerden zu schildern, die mit der Parkinson-Krankheit in Zusammenhang stehen könnten – und auch unbedingt darum zu bitten, die für sie besten Behandlungsoptionen in der aktuellen Leitlinie nachzuschlagen. ab

Die Leitlinie im Internet:

Bisher gibt es die neue Leitlinie nur in einer Langfassung, die sich in erster Linie an Ärzte und anderes medizinisches Personal richtet. Einsehen kann sie jeder unter dem Link . Eine Kurzversion für Patienten ist in Vorbereitung.

Wenn Tabletten, Sprays und Pflaster nicht mehr wirken

Im Verlauf einer Parkinson-Krankheit verlieren die eingesetzten Medikamente, die oral oder transdermal, also über die Haut, ein- beziehungsweise aufgenommen werden, oft an Wirkung. Lassen sich die Beschwerden mit den verwendeten Präparaten nicht mehr zufriedenstellend behandeln, sollte den aktuellen Empfehlungen zufolge eine invasive Therapie in Betracht gezogen werden, für die ein operativer Eingriff erforderlich ist. Hierzu zählen in erster Linie die Pumpentherapie und die Tiefe Hirnstimulation.

Die Pumpentherapie sorgt dafür, dass die verabreichten Wirkstoffe gleichmäßig über den Tag verteilt im Körper der Patienten ankommen und Wirkschwankungen so minimiert werden. Zum Einsatz kommen in der Regel entweder die Substanz Apomorphin, die unter die Haut ins Fettgewebe abgegeben wird, oder eine Kombination der Wirkstoffe Levodopa und Carbidopa (LCIG), eventuell ergänzt durch den COMT-Hemmer Entacapon, die über eine durch die Bauchwand gelegte Darmsonde in den oberen Dünndarm gelangen. Die kontinuierlich abgegebene Dosis wird auf der Pumpe individuell eingestellt. Falls erforderlich, kann sich der Patient darüber hinaus zusätzliche Einzeldosen verabreichen. Welche Wirkstoffe verwendet werden, hängt unter anderem vom Alter, von den Symptomen und den Begleiterkrankungen der Betroffenen ab.

Seit Dezember ist zudem ein Präparat erhältlich, das die Wirkstoffe Levodopa und Carbidopa als sogenannte Prodrugs enthält – das sind Vorstufen der Medikamente, die sich erst im Körper in ihre aktive Form verwandeln. Das Mittel
wird als Dauerinfusion über eine Pumpe

unter die Haut verabreicht. Um die subkutane Kanüle zu legen, ist anders als bei den anderen Levodopa-Pumpentherapien keine Operation notwendig.

Für die Tiefe Hirnstimulation, kurz THS, werden ein oder zwei Elektroden unter der Kopfhaut befestigt und durch die Schädeldecke tief in das Gehirn eingeführt. Über feine, unter der Haut verlaufende Kabel sind die Elektroden mit einem Gerät verbunden, das regelmäßig schwache elektrische Impulse an ganz bestimmte Zentren im Gehirn sendet und auch als Hirnschrittmacher bekannt ist. Oft wird das Gerät unter der Haut am Schlüsselbein eingesetzt. Studien haben gezeigt, dass beispielsweise eine Stimulation des Nucleus subthalamicus im Zwischenhirn motorische Symptome bis zu elf Jahre lang lindern kann.

Konkret rät die neue Leitlinie dazu, ein invasives Verfahren immer dann zu erwägen, wenn die Patienten

  • fünfmal täglich oder öfter Levodopa einnehmen müssen,
  • mindestens zwei Stunden am Tag sogenannte Off-Phasen haben, in denen sie sich kaum oder gar nicht bewegen können, oder
  • mindestens eine Stunde am Tag an unwillkürlichen, unkontrollierbaren Bewegungen leiden.
  • Bei der Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Verfahren empfiehlt die Leitlinie, die Wirksamkeit auf motorische und nicht motorische Symptome sowie die individuellen Präferenzen und Charakteristika der jeweiligen Patienten zu berücksichtigen. Dabei sollten alle Faktoren im Einzelfall gewichtet und in einer interdisziplinären Fallkonferenz sowie zusammen mit den Betroffenen abgewogen werden.