SCHMERZ: Coping: So meistern Sie die Diagnose
Der Ausbruch einer schweren, vielleicht unheilbaren Erkrankung ist immer ein tiefer Einschnitt im Leben. Oft heißt es, Abschied zu nehmen von bisherigen Zielen und Träumen. Sich auf die unbekannte Situation einzustellen und das Leben an die veränderten Umstände anzupassen und neu zu gestalten, ist nicht immer leicht. Die richtigen Coping-Strategien können dabei helfen.
Plötzlich steht das Leben Kopf. Nichts scheint mehr zu sein, wie es mal war. »Die Diagnose einer neurologischen Krankheit stellt für viele Betroffene eine enorme emotionale Belastung und vor allem Bedrohung dar«, sagt Dr. Caroline Kuhn, die Leiterin der Neuropsychologischen Universitätsambulanz an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.
Denn eine Erkrankung des zentralen Nervensystems beeinträchtigt oft die Sinneswahrnehmungen, die körperliche und geistige Beweglichkeit, die Konzentration und das Gedächtnis. »Die subjektive Erfahrung, sich nicht mehr auf den eigenen Kopf und Körper verlassen zu können, nimmt einem Menschen genau das, was ihn in seinem Selbstverständnis ausmacht«, sagt Kuhn. Die Diagnose spalte das Leben daher immer in ein Vorher und ein Nachher.
»Es ist wichtig, das Vorher auf den Prüfstand zu stellen, um das Nachher bestmöglich gestalten zu können«, sagt Kuhn. Nicht alles, was man bislang als wichtig erachtet habe, habe nach der Diagnose noch immer den gleichen Stellenwert im Leben. Die Neuropsychologin weiß allerdings, dass diese Neuausrichtung für viele Patienten und ihre Angehörigen ein meist langer und manchmal auch steiniger Weg ist. »Wer an seinen zerplatzten Träumen und Zielen aus der Zeit vor der Erkrankung festhält, muss zwangsläufig hadern«, sagt Kuhn. Hilfreicher, wenn auch nicht immer einfach, sei es, sich gedanklich, emotional und im Verhalten auf die veränderte Situation einzustellen und das Leben, angepasst an die neuen Bedingungen, auch weiterhin so selbstbestimmt wie möglich zu gestalten.
Veränderungen gehören zum Leben
Coping nennen Psychologen diese wertvolle Fähigkeit. Der Begriff leitet sich aus dem englischen Verb to cope ab. Übersetzt bedeutet es so viel wie zurechtkommen, sich anpassen, eine Sache bewältigen oder meistern. »Coping-Strategien sind erlernbar und für Menschen, die neurologisch erkrankt sind, ganz besonders wichtig«, betont Kuhn. Zuweilen könne es schon etwas helfen, sich bewusst zu machen, dass Veränderungen zum menschlichen Leben dazugehören – und wir alle uns daher eigentlich permanent anpassen müssen. »Das gilt auch für erwünschte Veränderungen, zum Beispiel die Heirat, die Geburt des ersten Kindes oder der Beginn des Rentnerlebens«, sagt Kuhn. »Jede neue Lebenssituation ist eine Herausforderung und bedeutet für uns Menschen zunächst einmal Stress.«
Denn fast unabwendbar tauchen dabei Fragen auf: Welche Gedanken und Gefühle lösen die neuen Umstände in mir aus? Wie gehe ich mit ihnen um? Wie möchte ich handeln, damit ich der Lage gewachsen bleibe? Handelt es sich um ein vollkommen überraschendes oder gar unerwünschtes Ereignis im Leben, werden solche Fragen deutlich schwerwiegender. Und manchmal fühlt es sich so an, als sei das komplette
Dasein bedroht.
Ausschlaggebend ist jedoch immer die individuelle Bewertung: Fühle ich mich der neuen Situation gewachsen oder nicht? Spreche ich mir selbst Mut zu oder nicht? »Jeder Gedanke, den wir denken, löst stets sofort eine bestimmte physiologische und emotionale Antwort aus«, erklärt Kuhn. »Daher ist es so wichtig, sich die eigenen Gedanken bewusst zu machen und auf sie Einfluss zu nehmen.«
Coping braucht Zeit
Kuhn weiß, dass der Coping-Prozess Zeit braucht und meist mehrere Phasen durchläuft. Am Anfang steht oft die Verweigerung. Man kann die Diagnose nicht fassen, will sie nicht wahrhaben und versucht daher, so normal wie möglich weiterzuleben. Nach einigen Tagen oder Wochen tauchen dann Gefühle der Wut auf. Man fragt sich vielleicht: Warum ich? Was habe ich getan, dass mich das Schicksal so bestraft? Hilfreich sind solche Fragen zwar meist nicht, verbreitet sind sie trotzdem – und niemand sollte sich ihrer schämen.
Die dritte Phase ist die der Verhandlung. »Ein Satz, den ich in dieser Zeit oft von meinen Patienten höre, lautet so«, berichtet Kuhn: »Was gäbe ich darum, wieder ein normales, gesundes Leben zu führen?« Meist schließt sich daran eine Phase an, die von Angst, Traurigkeit und Verzweiflung geprägt ist. »Sie ist wichtig, denn diese Gefühle sind die Voraussetzung dafür, um zu erkennen, was man jetzt tatsächlich braucht und welche Unterstützung man benötigt, um die neue Situation bewältigen zu können«, sagt Kuhn. Schließlich folgt die letzte Phase, die der Akzeptanz. »Sie bedeutet keinesfalls Resignation«, erklärt Kuhn. »Vielmehr geht es darum, sowohl die guten als auch die schlechten Seiten der neuen Lebenslage zu sehen, um sich dann zu überlegen, wie es nun weitergehen kann.«
Genau dabei helfen die verschiedenen Coping-Strategien. Psychologen unterscheiden im Wesentlichen drei Stile, die jeweils ihre ganz eigenen Stärken und Schwächen haben: die Problemorientierung, die Emotions- und Bedürfnis- sowie die Bewertungsorientierung. »Für ein erfolgreiches Coping müssen alle drei Stile in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen«, sagt Kuhn. »Daher ist es gut zu wissen, zu welchem ich aufgrund meiner Persönlichkeit am ehesten neige.«
Wissen hilft
Bei dem problemorientierten Stil geht es in erster Linie darum, ein Verständnis für die Erkrankung und deren Therapie zu bekommen. Entscheidend sind das Wissen und die Orientierung an Fakten, Gefühle werden eher vermieden. »Dabei besteht allerdings leicht die Gefahr, dass man ausblendet, wie es einem emotional wirklich geht, und man es sich gar nicht eingestehen mag, wenn man sich manchmal auch richtig schlecht fühlt«, sagt Kuhn. Das wiederum aber könne zu weiteren Problemen führen.
Beim emotions- und bedürfnisorientierten Stil liegt eher der umgekehrte Fall vor. Menschen, bei denen dieser Stil vorherrscht, sind oft wie erschlagen von den eigenen Gefühlen. Selbst nützliche Fakten werden dann vielfach übersehen oder bleiben unberücksichtigt.
Der bewertungsorientierte Stil ist gekennzeichnet durch Fragen wie die, was die neue Situation für das weitere Leben bedeutet, was man trotz der Erkrankung noch tun kann und was nicht mehr. Ungünstig kann er zum Beispiel sein, wenn das Vorwegnehmen möglicher negativer Folgen überwiegt.
Reden tut not
Eng verwandt mit dem Begriff des Copings ist der der Resilienz. Darunter versteht man die physische und psychische Widerstandsfähigkeit eines Menschen. »Nicht nur die verschiedenen Coping-Strategien sind erlernbar, auch die psychische Resilienz lässt sich trainieren«, betont Kuhn. Wichtig sei es zu erkennen, wenn man in eine Gedanken- oder Gefühlsfalle gerate, aus der man sich allein nicht mehr befreien könne. »Dann ist die Unterstützung vertrauter Menschen erforderlich und manchmal auch der fachliche Beistand in Form einer Psychotherapie«, sagt Kuhn. Entscheidend für die Bewältigung einer Krise, wie es die Diagnose einer neurologischen Erkrankung nun einmal sei, seien immer drei Schritte: sich zu informieren, Hilfe anzunehmen und über die Situation zu reden.