Multiple Sklerose: Essen gegen Entzündungen

Die Ernährung kann helfen, den Verlauf von Multipler Sklerose günstig zu beeinflussen und Symptome der Erkrankung zu mindern. Was sollte dafür auf den Teller kommen?

Dr. Matthias Riedl ist kein Freund falscher Hoffnungen. »Eine Erkrankung wie Multiple Sklerose kann man nicht wegessen«, stellt er deshalb gleich zu Beginn des Gesprächs klar. Trotzdem wird der Einfluss der Ernährung auf den Verlauf der Krankheit aus Sicht des Mediziners deutlich unterschätzt. »Viele Patientinnen und Patienten erreichen mit der passenden Ernährung weniger Schmerzen, weniger Schübe, ein starkes Immunsystem und eine bessere Lebensqualität.«

Passend heißt in diesem Fall: antientzündlich. Schließlich handelt es sich bei Multipler Sklerose (MS) um eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. »Es gibt Lebensmittel und Ernährungsgewohnheiten, die Entzündungen fördern. Und solche, die sie hemmen«, sagt Riedl, der das Versorgungszentrum Medicum in Hamburg leitet. Das sei ein mächtiger Hebel für alle Menschen mit entzündlichen Erkrankungen – egal, ob es um Rheuma, Reizdarm oder eben MS gehe.

Goldstandard mediterrane Kost

Wie aber sieht eine solche Ernährung aus? In einem ersten Schritt gilt es, eine gute Basis zu schaffen. Dafür eignet sich die Orientierung an der sogenannten mediterranen Kost, die auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfohlen wird. Zahlreiche Studien belegen, dass diese Ernährungsweise den Körper effektiv vor Erkrankungen schützt. Auf dem Speiseplan stehen dabei vor allem reichlich Gemüse, Hülsenfrüchte, Salat, saisonales Obst, wenig Fleisch, dafür mehrmals die Woche Fisch und Meeresfrüchte, frische Kräuter, Gewürze und gesunde Fette etwa aus Olivenöl. All das liefert dem Körper neben Nährstoffen viele sekundäre Pflanzen- und Ballaststoffe, auf die Forschende die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit zurückführen. »Wer zusätzlich reichlich Pilze, Nüsse und Samen auf den Speiseplan setzt, kann den Effekt noch verstärken«, sagt Riedl.

Zwar geht es bei der Ernährung immer um das große Ganze. »Dennoch kann es sinnvoll sein, bestimmte Lebensmittel zu betonen und andere zu meiden«, sagt Riedl. Der Blick aufs Fett etwa lohnt sich: Omega-3-Fettsäuren, wie sie zum Beispiel in Lachs, Hering oder Makrele, Walnüssen oder Lein- und Algenöl stecken, wirken nachweislich entzündungshemmend. Bestimmte Omega-6-Fettsäuren hingegen sollte man meiden, allen voran Arachidonsäure. Größere Mengen davon sind zum Beispiel in rotem Fleisch, Wurst, Schweineschmalz und Sonnenblumenöl enthalten.

Auch den Konsum von bestimmten Kohlenhydraten und Zucker sollte man herunterschrauben. Das gilt für einfache Kohlenhydrate aus Weißmehl, etwa in Nudeln oder Weißbrot, aber auch für Snacks, Salzgebäck, Fertigprodukte und natürlich Süßigkeiten. »Auf Letzteres sollte man weitestgehend verzichten, Ersteres durch Vollkornprodukte ersetzen«, rät Riedl. Industriezucker verbirgt sich übrigens auch in vielen vermeintlich gesunden Lebensmitteln – etwa Müsli, Fruchtjoghurt, Gewürzgurken und Konserven. »Alles verbieten muss sich aber niemand. Die Dosis macht das Gift«, sagt Riedl.

Gesunde Darmbakterien fördern

Entscheidend ist darüber hinaus der Zustand des Darms. Zwar hat die Wissenschaft längst noch nicht alle Zusammenhänge entschlüsselt, aber fest steht: Die Darmflora spielt eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit. »Vereinfacht gesagt, können sich im Darm sowohl gute als auch schlechte Bakterien ansiedeln«, sagt Riedl. Die guten ernähren sich von Ballaststoffen, die schlechten von Zucker. »Nur wenn das Mikrobiom gesund ist, können Nährstoffe optimal aufgenommen werden, nur dann kann das Immunsystem Abwehrstoffe insbesondere gegen Entzündungen entwickeln.«

Um die guten Bakterien zu fördern, braucht es Ballaststoffe. Denn daraus stellen sie kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat und Propionat her, die das Immunsystem stärken und die zur Reparatur von Nervenzellen benötigt werden. MS-Patienten haben häufig zu wenig davon im Blut. Sie können deshalb Studien zufolge von der Gabe von Propionsalz als Nahrungsergänzungsmittel profitieren. Wichtiger ist aber eine nachhaltige Ernährungsumstellung: Wer neben Ballaststoffen auf pro- und präbiotische Kost setzt, kann gesunde Darmbakterien regelrecht füttern. Dazu eignen sich zum Beispiel fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut, Kimchi, Kefir oder Brottrunk.

Weizen fördert Entzündungen

Spannend ist auch das Thema Weizen. Eine aktuelle Studie der Universität Mainz zeigt, dass eine weizenarme Ernährung sich günstig auf den Verlauf von MS auswirkt. Das wurde sowohl im Tiermodell als auch in einer klinischen Pilotstudie gezeigt. Dabei ernährten sich Patientinnen und Patienten mit MS drei Monate lang weizenreduziert. Sie berichteten in dieser Zeit von signifikant weniger Schmerzen und hatten weniger Entzündungszellen im Blut. Das liegt wohl am Verzicht auf eine bestimmten Gruppe von Proteinen: Amylase-Trypsin-Inhibitoren. »ATI-Proteine werden kaum verdaut und verursachen leichte Entzündungsreaktionen im Darm«, erklärt Professor Detlef Schuppan, Studienleiter und
Direktor des Instituts für Translationale Immunologie der Universitätsmedizin Mainz und Professor an der Harvard Medical School in Boston.

Was aber hat ATI mit entzündlichen Vorgängen im zentralen Nervensystem zu tun? »Durch ATI aktivierte Entzündungszellen und Botenstoffe können über den Darm in den Blutkreislauf gelangen und so in andere Teile des Körpers transportiert werden«, erklärt Schuppan. Das Gehirn ist davor nicht gefeit, im Gegenteil: Darm und Gehirn sind über die sogenannte Darm-Hirn-Achse verbunden. »Die Ernährung, ihre Wechselwirkungen mit dem Darmmikrobiom und dem Darmimmunsystem sind ganz entscheidend für die Gesundheit«, sagt Schuppan. Er empfiehlt deshalb nicht nur Menschen mit MS, sondern allen von chronischen entzündlichen Erkrankungen Betroffenen, auf ATI zu verzichten. Das geht am einfachsten, indem man im Supermarkt zu glutenfreien Produkten greift. Gluten selbst ist zwar nur für Menschen mit Zöliakie ein Problem. Aber glutenfreies Getreide enthält auch kein ATI, auf das deutlich mehr Menschen empfindlich reagieren.

Wer sich an diese Empfehlungen hält, verliert oft auch überflüssige Pfunde – ein netter und zudem heilsamer Nebeneffekt. Denn bestimmte Fettzellen können Entzündungen zusätzlich befeuern. Sowohl Detlef Schuppan als auch Matthias Riedl ermuntern Betroffene deshalb ausdrücklich, über die Ernährung Einfluss auf ihre Erkrankung zu nehmen. Auch wenn Heilung derzeit nicht möglich ist, Besserung ist allemal drin. Schuppan: »Und diese Chance sollte niemand ungenutzt lassen.«