Schmerz:Wenn schon Kinder über Kopfschmerz klagen

Wenn schon Kinder über Kopfschmerz klagen

Mehr als die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen leiden regelmäßig an Kopfschmerzen. Eigentlich müsste das nicht sein. Denn mit einem – mitunter nur leicht – veränderten Lebensstil ließen sich vermutlich viele der Attacken verhindern. Das legt unter anderem eine aktuelle Studie aus Kanada mit fast fünf Millionen jungen Teilnehmern nahe.

Schon im Kindergarten gehört Kopfweh zu den häufigsten Schmerzen, über die Kinder klagen. Mit Schulbeginn verfünffacht sich die Häufigkeit: Etwa drei von vier Jugendlichen hierzulande werden regelmäßig von Kopfschmerzen geplagt. Besonders verbreitet, mit einem Anteil von mehr als
40 Prozent, ist der Spannungskopfschmerz. Fast zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen, die Kopfschmerzen kennen, leiden an Migräne – die damit an zweiter Stelle der Kopfschmerzarten in jungen Jahren steht. Bei rund einem Drittel der Patienten besteht eine Mischform.

»Um kindliche Kopfschmerzen richtig behandeln zu können, ist als erstes eine exakte Diagnose erforderlich«, sagt Professorin Gudrun Goßrau, die Leiterin der Kopfschmerzambulanz am Universitäts SchmerzCentrum – USC des Universitätsklinikums Dresden, die zusammen mit Kollegen der Kinder- und Jugendmedizin ein ambulantes Therapieprogramm speziell für Kinder und Jugendliche entwickelt hat. Das Angebot namens DreKiP (Dresdner Kinder- und Jugendkopfschmerzprogramm) existiert bislang jedoch noch nicht in jeder Region.

Mädchen sind öfter betroffen

Erster Ansprechpartner für die jungen Patienten und ihre Eltern ist daher meist der ortsansässige Kinder- und Jugendarzt. »Es ist wichtig, dass dieser zunächst einmal feststellt, um welche Kopfschmerzart es sich handelt«, sagt Goßrau. »Denn ein kindlicher Spannungskopfschmerz wird anders behandelt als eine kindliche Migräne.«

Schmerzstillende Medikamente wie Paracetamol oder Ibuprofen sollten bei Kindern und Jugendlichen mit Spannungskopfschmerzen nur selten zum Einsatz kommen. »Hier gibt es meist wirkungsvollere und nebenwirkungsärmere Maßnahmen mit einem ähnlich guten Effekt«, sagt Goßrau. Triptane seien ausschließlich für die Therapie von Migräneattacken gedacht.

Eine kanadische Studie hat kürzlich untersucht, welches die wichtigsten Auslöser von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen sind. Die Forscher befragten dazu fast fünf Millionen Mädchen und Jungen im Alter zwischen fünf und 17 Jahren. Wie sich herausstellte, litten gut sechs Prozent aller Befragten öfter als einmal in der Woche an Kopfweh. Die Wahrscheinlichkeit für solch häufige Schmerzen war bei Mädchen deutlich größer als bei Jungen und stieg bei beiden Geschlechtern mit dem Alter an.

Auch Cannabis erhöht das Risiko

Berücksichtigten die Forscher sowohl das Geschlecht als auch das Alter ihrer Probanden, stieg das Risiko mit einem späten Zubettgehen und langen Bildschirmzeiten. Bei den zwölf- bis 17-Jährigen spielte zudem der Substanzkonsum eine wichtige Rolle: Jugendliche, die regelmäßig Alkohol tranken, Zigaretten rauchten oder Cannabis konsumierten, litten deutlich öfter an Kopfschmerzen. Auch wenn die Eltern zu Hause rauchten, war das Risiko der Kinder und Jugendlichen erhöht. Das Gleiche galt für all diejenigen, die keine regelmäßigen Mahlzeiten erhielten.

Bewegung lindert den Spannungskopfschmerz

Anders als in früheren Studien fanden die kanadischen Forscher keinen Zusammenhang zwischen dem Kopfschmerzrisiko und der körperlichen Aktivität. »Das liegt möglicherweise daran, dass in der aktuellen Befragung nicht zwischen Spannungskopfschmerzen und Migräne unterschieden wurde«, sagt die Dresdner Medizinerin Goßrau. Denn bei einer Migräne seien die Effekte von Sport weniger stark ausgeprägt: »Zur Prävention eignen sich regelmäßige Bewegung und Ausdauersport häufig sehr gut«, erläutert sie. »Hat die Attacke aber erst einmal ihren Lauf genommen, verstärkt körperliche Aktivität die Beschwerden.«

Das unterscheidet die Migräne vom Spannungskopfschmerz: Letzterer wird bei Bewegung an der frischen Luft in aller Regel besser. »Tut er das nicht, handelt es sich vielleicht doch um eine Migräne«, sagt Goßrau. Regelmäßige Aktivität wirke aber in beiden Fällen vorbeugend und lindere darüber hinaus depressive Symptome, die mit häufigen Schmerzen einhergehen könnten. »Entscheidend ist, dass die Kinder und Jugendlichen eine Sportart finden, die ihnen Spaß macht«, sagt Goßrau. Manche Migränepatienten müssten jedoch auf bestimmte Bewegungsmuster, die den Kopf- und Nackenbereich stärker belasten, verzichten.

Weniger Zeit am Bildschirm kann helfen

Verzicht ist Goßrau zufolge auch beim Konsum von Rauschmitteln angesagt, selbst wenn diese als harmlos oder gar schmerzlindernd angesehen werden. »In unserer eigenen Studie haben wir gesehen, dass Jugendliche, die regelmäßig Alkohol trinken oder koffeinhaltige Getränke zu sich nehmen, häufiger als andere Gleichaltrige an Kopfschmerzen leiden«, sagt Goßrau.

Darüber hinaus scheine Cannabis bei der Entstehung von Kopfschmerzen eine bedeutende Rolle zu spielen, erklärt die Medizinerin. »Wir wissen zum Beispiel, dass Menschen, die wegen ihrer Kopfschmerzen regelmäßig Cannabis konsumieren, häufiger an chronischen Kopfschmerzen leiden, also dauerhaft Kopfschmerzen haben«, sagt sie. Es entstehe oft ein Teufelskreis, den es zu unterbrechen gelte. »Gerade Jugendliche und junge Erwachsene, die ja die Hauptkonsumenten von Cannabis sind, sollten diesen Effekt der Hanfpflanze bedenken«, betont Goßrau.

Auch bei ihren eigenen Patienten beobachtet die Schmerzspezialistin fast durchweg lange Bildschirmzeiten von mehr als fünf Stunden am Tag. »Elektronische Tafeln und Tablets, wie sie in Schulen zunehmend genutzt werden, sind zumindest bei Kindern, die eine erbliche Veranlagung zur Migräne haben, kritisch zu sehen«, sagt sie. Spezielle Brillen mit Blaulichtfiltern könnten manchen Betroffenen helfen.

Ein geregelter Tagesablauf ist wichtig

In dem von ihr entwickelten Programm namens DreKiP, in das auch die Eltern miteinbezogen werden, lernen die Kinder und Jugendlichen in Gruppen von sechs bis acht Personen, ihre Kopfschmerzen durch einen Mix verschiedener Maßnahmen zu reduzieren. Im Zentrum stehen dabei zunächst nicht medikamentöse Maßnahmen wie Bewegung, Ausdauersport, Entspannungstechniken und Stressreduktion.

»Gerade bei Kindern verlaufen
Migräneattacken oft kurz, teilweise dauern sie nur etwa 30 bis 60 Minuten an«, weiß Goßrau. In solchen Fällen könne es vielfach schon helfen, wenn die Betroffenen sich – auch in der Schule – in einen ruhigen, kühlen und abgedunkelten Raum zurückziehen könnten, bis es ihnen wieder besser gehe. »Wichtig für alle jungen Kopfschmerzpatienten ist ein regelmäßiger Tagesablauf mit festen Mahlzeiten und ausreichend Schlaf«, sagt Goßrau. Psychischer Stress, etwa durch familiäre Konflikte oder Mobbing in der Schule, müsse aufgespürt und nach Möglichkeit beseitigt werden. Sehr hilfreich zum Stressabbau seien zudem Entspannungstechniken, wie autogenes Training oder die progressive Muskelentspannung, die sich auch online relativ leicht erlernen lassen.

Sind die Schmerzen trotz allem sehr häufig oder stark, ist die Gabe schmerzstillender Medikamente sinnvoll. »Diese sollten allerdings nicht öfter als maximal neunmal im Monat eingenommen werden, da sie ansonsten ihrerseits Beschwerden auslösen können, den sogenannten schmerzmittelinduzierten Kopfschmerz«, gibt Goßrau zu bedenken. Gerade bei Migräne sei es darüber hinaus sinnvoll, nach möglichen Auslösern zu suchen und diese dann durch ein angepasstes Verhalten zu umgehen.

»Helfen die genannten Maßnahmen nicht oder kommt der Kinder- und Jugendarzt allein nicht weiter, ist eine Überweisung an das nächstgelegene Kopfschmerzzentrum zu empfehlen«, sagt Goßrau. Adressen gibt es im Internet, zum Beispiel auf den Seiten der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (www.dmkg.de/kopfschmerzexperten). »In jedem Fall sollten Eltern die Kopfschmerzen ihrer Kinder nicht als Lappalie abtun oder leichtfertig mit Schmerzmitteln behandeln«, rät die Medizinerin. »Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen müssen als Erkrankung ernst genommen werden – und lassen sich zum Glück fast immer gut therapieren.« ab