Der Umgang mit MS

Die Krankheit annehmen

Die Diagnose MS wird von den Betroffenen wie ein Schock empfunden. Schlagartig wird die eben noch einigermaßen heile Welt auf den Kopf gestellt. Es ist vor allem die Ungewissheit, das Unbekannte  und Unberechenbare, was massive Ängsteauslöst. Das Gefühl, das eigene Leben nicht mehr kontrollieren zu können, sorgt für ein emotionales Chaos. Ein Berg an Fragen und Problemen türmt sich auf, der auf den ersten Blick unüberwindlich scheint. Typische Fragen sind:  Wie wird sich mit MS meine Zukunft gestalten lassen, wo werden meine Perspektiven eingeschränkt, wie geht meine Familie oder mein Partner mit meiner Erkrankung um und wie steht es mit meinem beruflichen Werdegang?

PatientenreaktionenErfährt ein Patient von seiner Erkrankung, treten typische Reaktionsmuster auf, die bei der Verarbeitung der Ängste eine wichtige Rolle spielen. Nach dem Diagnoseschock wird die Erkrankung vielfach verleugnet und verdrängt. Die erste Phase ist von extremer Unsicherheit geprägt, zumal viele der auftauchenden Fragen unbeantwortet bleiben. Es regt sich allmählicher innerer Widerstand, der sich in Wut auf sich und andere äußern kann. «Warum ausgerechnet ich?» ist einer der Selbstzweifel, der häufig  in der Suche nach persönlicher Schuld und individuellen Auslösern endet. Günstig ist es für das eigenverantwortliche Handeln, wenn möglichst früh die Krankheit als ein Teil des eigenen Lebens akzeptiert wird. Auf dieser Ebene ist es leichter möglich, sich durch Information und Aufklärung zum Experten der Erkrankung zu machen, um dadurch Kontrollgefühl zu bekommen, das Gefühl des Ausgeliefertseins zu begrenzen und um sich aktiv an den Therapieentscheidungen beteiligen zu können.

Auch das soziale Umfeld des Patienten erkrankt gewissermaßen mit. Sowohl Partner, Kinder, Eltern, Freunde, Arbeitskollegen, Bekannte und sogar Nachbarn reagieren in der ersten Phase zumeist hilflos und teilweise sicherlich ungeschickt. Dies liegt in erster Linie daran, dass die meisten Menschen schlecht informiert sind. Häufig kommt es zu partnerschaftlichen Problemen, weil viele Dinge, die die Partnerschaft jetzt belasten, nicht frühzeitig offen an- und ausgesprochen werden. Daher sollte es zu einer festen Regel werden, von Anfang an Gefühle und gärende Probleme nicht zu verheimlichen. Rücksichtsnahme bewirkt hier nur das Gegenteil. Ein wichtiger Schritt für den Patienten sollte es sein, zum Experten seiner Erkrankung zu werden. Mit diesem Fachwissen ist er in der Lage, Unwissenheiten und Vorurteile über MS in seinem sozialen Umfeld zu beseitigen. Dies stärkt ihn in seinem Selbstbewusstsein und hilft den Mitbetroffenen Sicherheit im Umgang mit dem Erkrankten zu gewinnen.

Viele Angehörige sind verunsichert, wie sie sich angemessen verhalten sollen. Dies mündet dann häufig in übertriebene Rücksichtsnahme und Überbehütung, welche den Partner schnell überfordert und erschöpft. Eine Formel für Angehörige oder Partner im Umgang miteinander lässt sich mit den Worten «kein Mitleid, aber dafür Mitgefühl» und stets miteinander reden, zusammenfassen.

FaktorenJeder Patient sollte wissen, dass Psyche, Immun- und Hormonsystem eng miteinander verflochtene Systeme sind, die sich gegenseitig beeinflussen. So löst eine psychische Dauerbelastung, wie sie z. B. bei Stress oder Partnerschaftsproblemen entstehen, eine Hormonantwort aus, die das Immunsystem negativ beeinflusst. Es kommt also darauf an, vor allem psychische Dauerbelastungen weitestgehend zu vermeiden. Hierzu gehört auch, dass der Patient Techniken erlernt, die im helfen Stress zu vermeiden und zu entspannen, um so schnellstmöglich sein seelisches Gleichgewicht wieder zu erlangen. Hierzu dienen die verschiedensten Entspannungsverfahren (Progressive Muskelentspannung, autogenes Training, Yoga etc.). Wichtig hierbei ist nicht die Methode sondern das regelmäßige Durchführen der Übungen. Gegebenenfalls sollte man einer psychiatrischen, psychotherapeutischen und auch psychopharmakologischen Behandlung nicht abgeneigt sein, die das Ziel hat, zu stabilisieren, emotional widerstandsfähiger zu machen und damit den Prozess der erfolgreichen Krankheitsbewältigung zu unterstützen.

Erfolgreiche Krankheitsbewältigung wird auch dann unterstützt, wenn den Patienten eine intakte Familie und ein fester Freundeskreis begleiten. Gemeinsame Aktivitäten, vor allem im Freizeitbereich, wirken dabei sehr bindend. Der Patient sollte sich zum Ziel setzen Hilfestellungen dort anzunehmen, wo er sie braucht. Andererseits sollte er, solange wie möglich, den Alltag mitgestalten helfen und sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen. Es kommt dabei darauf an, die eigenen Wünsche als Ich-Botschaft klar auszusprechen und keine Probleme zu verheimlichen. Zum Erhalt dieser Selbstständigkeit gehört auch, dass nicht all zu früh Anpassungen des Umfeldes an die Erkrankung erfolgen.

ManagementMit Blick auf die Versorgung steht der Patient in Deutschland nicht alleine da. Neben den Ärzten aus verschiedenen Disziplinen wird vielfältig weitere Betreuung angeboten, die sich auf die Symptome der Erkrankung beziehen. Wichtig ist, dass der Patient und seine Angehörigen über die verschiedenen Betreuungsangebote informiert ist, und diese nach seinen Möglichkeiten nutzt. Auch hier kann der Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe sehr hilfreich sein. Hier findet der Patient hinsichtlich der Versorgung und Umgang mit der Erkrankung den intensivsten Informationsaustausch auf aktuellem Niveau.